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Laien vor, so finden wir auch einen Fall, wo sie als Italiener allen deutschen Laien, selbst den Reichsministerialen nachstehen. Der König von Böhmen behauptet zu Wien mehrfach als König den Vorrang vor allen Geistlichen, selbst dem Patriarchen; in andern Urkunden steht er als Laie allen nach. Manche ähnliche Schwankungen werden sich uns im Verlaufe der Erörterung darbieten.

In solchen Fällen ist weder die eine, noch die andere Einordnung eine regellose, es ist die eine, wie die andere nach einem bestimmten Gesichtspunkte erfolgt; dieser selbst aber war ein verschiedener, jenachdem man bald die kirchliche Würde, bald die Stellung im Reiche, bald den Vorrang der herrschenden Nation bei Bestimmung der Rangordnung stärker betonte.

So lange es sich nur um die allgemeinsten Gesichtspunkte handelt, wird selbst die einzelne Zeugenreihe leicht erkennen lassen, welcher dabei der vorherrschende war. Gewiss aber sind auch oft Rücksichten wirksam gewesen, welche sehr ins Einzelne gehen, mit dem Gegenstande, dem Ausstellungsorte der Urkunde, mit persönlichen, vielleicht nur zeitweise dauernden und uns unbekannten Verhältnissen einzelner Zeugen zusammenhangen, nur einzelnemale beachtet sind, während sie in der Regel andern Gesichtspunkten weichen mussten. So finden wir in keiner der 1237 zu Wien ausgestellten Kaiserurkunden, noch sonst, so viel ich weiss, den König von Böhmen irgend einem weltlichen Fürsten nachgestellt; dagegen nimmt der König in dem zu Wien erlassenen Dekrete über die Wahl K. Konrads erst die zweite Stelle unter den weltlichen Fürsten ein, der Rheinpfalzgraf die erste. In jeder andern Urkunde möchte ich nicht anstehen, blosse Fahrlässigkeit darin zu erblicken; hier gerade möchte ich aber annehmen, dass die Stellung mit Rücksicht auf den Gegenstand eine wohlbedachte war, weil dem Rheinpfalzgrafen bei der Königswahl die erste Stimme zustand. So mochte manches, was uns Willkür scheint, dennoch einer Regel folgen, aber freilich einer Regel, welche gar nicht oder erst nach einer wiederholten und so umfassenden und sorgfältigen Prüfung, wie sie nicht in unserer Absicht lag, zu erkennen sein dürfte. Einmal erkannt werden uns dann freilich gerade diese Regeln oft die erwünschtesten Anhaltspunkte geben.

Fassen wir die Resultate der bisherigen Erörterung zusammen, so ergibt sich, dass, wenn sich auch nicht in jeder Urkunde die Anordnung genügend erklären lässt, wenn sich auch keine Regeln aufstellen lassen, welche für alle Fälle genügen, sich wenigstens Regeln ergeben, welche oft genug beobachtet wurden, um daraus sichere Schlüsse auf die Rangordnung der Grossen ziehen zu dürfen. Dass darauf der Unterschied zwischen Fürsten und Nichtfürsten, welchen wir bisher nicht betonten, von grossem Einflusse gewesen sei, wird von vornherein kaum zu bezweifeln sein; andererseits kann er schon nach dem Gesagten nicht wohl der einzige leitende Gesichtspunkt gewesen sein und durch das Durchkreuzen mit andern wird sogar seine Wirksamkeit zum Theil erst

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_194.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)