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Abgränzung des ältern Reichsfürstenstandes bietet, Gewicht darauf legen, dass er nicht vom Reiche belehnt war. In früherer Zeit war der Boden der Grafschaft Hennegau allodial, während die gräfliche Gerichtsbarkeit und die Abtei Mons Reichslehen des Grafen waren. Aber schon um 1070 wurde das ganze Allod von Hennegau dem Bischofe von Lüttich zu Lehen aufgetragen, welcher zugleich 1071 vom Könige die Reichslehen des Grafen für seine Kirche zu erwerben wusste[1]; in kaiserlicher Bestätigung der Besitzungen der Lütticher Kirche von 1155 wird ausdrücklich aufgeführt: tota terra comitis de Hainou cum comitatu et omnibus castris et ecclesiis ad eam pertinentibus.[2] Seitdem war der Graf von Hennegau kein unmittelbarer Reichsvasall mehr; es wird ausdrücklich erwähnt, dass der Graf, 1187 zu einer Zusammenkunft des Kaisers mit dem Könige von Frankreich von beiden Herrschern entboten, licet nemini illorum hominii fidelitate obligatus esset, tamen, quia de imperio erat, ad dominum imperatorem transivit et cum eo in colloquio illo fuit.[3]

Wollten wir nun auch den für die entgegengesetzte Ansicht vorgebrachten Gründen gegenüber annehmen, nur die Besitzer reichslehnbarer Grafschaften hätten dem ältern Fürstenstande angehört, so würde auch diese Begrenzung nicht mehr auf die Umstände, unter welchen jene Erhebung erfolgte, zutreffen. Denn war auch Hennegau nicht reichslehnbar, so war es doch die Grafschaft Namur, und den Grafen von Namur finden wir auch 1131 und 1166 in Kaiserurkunden unter den Reichsfürsten aufgezählt.[4] Durch die Belehnung mit Namur wäre demnach Balduin jedenfalls zum Reichsfürsten im frühern Sinne geworden; und davon würde wenigstens schwerlich so viel Aufhebens gemacht sein. Bestimmter noch ergibt sich das jetzige Verhältniss daraus, dass nicht allein von einer Erhebung Balduins zum Fürsten die Rede ist, sondern ausdrücklich davon, dass Namur damals erst zum Fürstenthume erhoben worden sei.

Daraus ergibt sich nun mit aller Bestimmtheit, dass man im Jahre 1188 bereits von einer andern Begränzung des Fürstenstandes ausging, dass insbesondere Grafen nicht mehr, wie früher, von vornherein dem Fürstenstande angehörten, dass man wohl gar den Titel eines Grafen dafür überhaupt nicht als genügend ansah, worauf wenigstens die Erhebung der Grafschaft zur Markgrafschaft zu deuten scheint.

Eine Bestätigung dieses Ergebnisses bietet uns noch die nächstfolgende 73 Zeit. Wie es nicht unwahrscheinlich sein dürfte, dass die Erhebung Mährens zur Markgrafschaft und, wie es scheint, zum Reichsfürstenthume auf die Erhebung des Markgrafen von Namur eingewirkt habe, so wird diese letztere in anderen mächtigen Grafen den Wunsch nach gleicher Auszeichnung geweckt haben. Die Grafen von Holland

  1. Gisleb. 3. 9. 10. Miraeus 3, 15.
  2. Miraeus 2, 826.
  3. Gisleb. 165.
  4. Notizenbl. 1, 99. Miraeus 3, 346.
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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_139.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)