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Kraft der deutschen Nation wenig stärken, grossentheils nur den Werth neutralisirter Gebiete haben mochten, welche aber durch Deutschland aufgegeben schliesslich nur Frankreich zufallen und erst in seinen Händen einen alle Machtverhältnisse bedrohenden Werth erhalten konnten. Dieser Ring fremder Bestandteile, welcher das deutsche Königreich umgab, schien ebenso nöthig den Kern zu schirmen und zusammenzuhalten, als er für die Lösung allgemeinerer Aufgaben unerlässlich ´ war; der dadurch bedingte stetig wirkende Gegensatz der Nationen im Reichsleben selbst, das Gefühl, weitgreifenden äussern Aufgaben nur geeinigt gewachsen zu sein, schienen unentbehrlich, um das Bewusstsein der Nothwendigkeit eines engern staatlichen Zusammenhanges der deutschen Stämme lebendig zu erhalten; wo der Anstoss von aussen nicht hinzukam, erwiesen sich die von innen wirkenden Triebe zur Einigung als unzureichend. Seit die Nation als solche ihre universalen Aufgaben mehr aus den Augen verlor, es ihren einzelnen nächstbetheiligten Gliedern überliess, dieselben fortzuführen, so weit ihre Kräfte das erlaubten, machte sich nichts weniger als ein Bedürfniss oder eine Neigung geltend, den Verband des nationalen Königreiches nun um so fester zu schliessen; es war im ganzen Wesen der Nation begründet, dass nur jenes Streben nach möglichst ungehinderter Bewegung in engsten Kreisen um so stärker zum Durchbruch kam. In allen Verbänden des Staatslebens machte sich das geltend; wie die Zerrüttung des Kaiserreichs die Lockerung der Verfassung des Königreiches zur Folge hatte, so lösten sich mit dieser nun auch naturgemäss die Verbände der auf dem Unterschiede der Stämme beruhenden, eine Reihe von Fürstensprengeln umfassenden Länder, weil sie mit jener ihren Halt und ihre Bedeutung verloren; selbst innerhalb der Fürstensprengel wirkte der Trieb nach weiterer Auflösung, wo nur irgend Gelegenheit geboten war; oft erst da sein Ziel findend, wo die Kleinheit des Gebietes überhaupt eine weitere Ausscheidung autonomer Gestaltungen nicht mehr gestattete, machte er fast überall wenigstens so weit sich geltend, bis ihm mit Verengerung der Kreise das Streben der einzelnen Gewalten nach Schaffung geschlossener landeshoheitlicher Gebiete das Gegengewicht zu halten im Stande war.

Dieser Prozess konnte sich ohne zu grosse äussere oder innere Störungen vollziehen, weil er noch lange geschirmt war durch den nicht plötzlich zusammenbrechenden, sondern langsam zerbröckelnden gewaltigen Bau, welchen die Väter gefügt hatten; nicht durch eine gewaltsame Umwälzung wurden die Vorlande des Reiches uns entfremdet, sondern durch eine schrittweise bis auf unsere Zeiten sich fortsetzende Verschiebung der Machtverhältnisse, welche lange andauern konnte, bis man erkannte, dass sie an den eigenen Gränzen nicht einhalten werde; und ebenso konnten noch geraume Zeit die Reste der einheitlichen Reichsgewalt genügen, um die kleinern staatlichen Kreise gegen den

mächtigern Nachbarn zu schützen, ihre völlige Unfähigkeit, den umfassendern

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_037.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)