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zwischen Reich und Kirche ein genügendes Gleichgewicht hätte bilden, die Entwicklung zum Weltreiche hätte abhalten können, wäre nicht ein anderes Moment in entsprechender Richtung wirksam gewesen.

Neben dem universalen war doch auch der nationale Charakter des Reiches aufs schärfste ausgeprägt. Nur einer der geschichtlichen Entwicklung entnommenen Anschauung, nicht dem tatsächlichen Verhalte nach wurde im Reiche nicht eine Nation, sondern nur ein Stamm derselben als der herrschende betrachtet; blosse Ehrenrechte waren es, welche das Reich noch immer als ein fränkisches kennzeichneten. Mit der Vereinigung aller Stämme unter dem Frankenkönige zu einem unteilbaren deutschen Königreiche hatte die Einheit der Nation ihre politische Form gefunden, und zwar eine Form, welche durch die rasche Erweiterung zum Kaiserreiche sich nicht wieder verflüchtigte, in welcher alle Gesammt- und Sonderinteressen der Nation auf Grundlage einer einheitlichen und in sich geschlossenen Verfassung zur vollsten Entwicklung gelangen konnten, ohne gehemmt zu sein durch die fremdartigen Bestandteile, welche an diesen Kern des Kaiserreiches sich anschlossen. Und doch muss auch wieder das Gesammtreich als ein nationales bezeichnet werden; denn der Deutsche herrschte im Kaiserreiche, und diese Herrschaft war kein leerer Titel, wie die des Franken im Königreiche. Wohl erscheint überall die einheitliche Verfassung mit möglichster Selbstständigkeit der einzelnen Theile gepaart, war jeder Nation und jedem Stamme im eigenen Kreise möglichst ungehinderte Bewegung gegönnt; aber wenn im Rathe des Königreichs die Stimme des Franken nicht schwerer wog, als die des Baiern oder Sachsen, so duldete der Deutsche in der Herrschaft über das Gesammtreich keinen Genossen; nur von einem deutschen durch Deutsche erhobenen Herrscher wurden seine Geschicke gelenkt, nur an der deutschen Fürsten Rat war dieser gebunden, nur der Wille der Nation, deren kriegerische Kraft das Reich zusammenhielt, konnte für ihn ein bestimmender sein.

Dieser bestimmende Wille aber war einer schrankenlosen Ausdehnung der Herrschaft durchaus abgeneigt. Lässiges Selbstgenügen lag freilich nicht im Wesen unserer Nation; vor keiner universalen Aufgabe ist sie zurückgeschreckt, hat bereitwillig ihre Kräfte eingesetzt, um das Kaiserreich in einem Umfange zu gründen und zu erhalten, wie er den allgemeineren Bedürfnissen entsprach. Aber mit der weitgreifenden Aufgabe erkannte sie auch ihre zweckmässige Begränzung, hielt ein nach Erreichung dessen, was nöthig schien. In dem Bewusstsein der errungenen Uebermacht und Herrschaft fand der nationale Stolz wohl reiche Befriedigung, aber keinen Reiz zu zwecklosen Eroberungen. Der dem Deutschen eigene Trieb nach möglichster Ausbildung des Eigentümlichen und Mannichfaltigen, nach Selbstregierung in engstgezogenen Kreisen schien allerdings nur ihn zu befähigen, von den

engsten Aufgaben des Staatslebens aufsteigend auch den umfassendsten

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_034.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)