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blosse Konjekturalkritik erst dann eintreten darf, wenn alle Mittel der vergleichenden Kritik erschöpft sind. Beim Swsp. aber scheinen diese fast unerschöpflich genannt werden zu dürfen. Dass bei einem Werke, von welchem Homeyer bereits 223 Hss. verzeichnen konnte, bei welchem manche Hss. ganz nahe an die Entstehungszeit heranreichen und schon die ältesten sich nicht als nächstverwandte darstellen, zur Lösung der Frage nach dem wesentlichen Bestande des Urtextes die Vergleichung nicht ausreichen sollte, wird doch kaum glaublich sein. Die grösste Anzahl guter Hss. mag vielleicht nicht ausreichen, den Urtext in seinen Einzelnheiten mit voller Sicherheit wiederherzustellen; aber jedenfalls geben sie uns durch das, worin alle Familien übereinstimmen, was demnach auf den gemeinsamen Ausgangspunkt zurückgehen muss, ein Bild des Urtextes, dessen Richtigkeit im allgemeinen nicht zu bezweifeln sein wird, mag sich auch noch darüber streiten lassen, ob einzelne Züge getroffen sind.

Gehört die Ausführung eines solchen Bildes in gleicher Zuverlässigkeit, wie es vom Ssp. vorliegt, für den Swsp. auch noch in das Gebiet der Wünsche, so genügen doch die bisherigen Leistungen vollkommen zu der Ueberzeugung, dass die Hypothese des H. v. D. in den Hss. nirgends eine Stütze findet. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl und zwar vorwiegend der besten und ältesten Hss. ist genau verglichen und eine Einsicht in die Resultate der Vergleichung insbesondere durch die Ausgabe Wackernagels jedem ermöglicht; nirgends ergibt sich ein Haltpunkt für die Annahme des Herrn v. D.; was er als Zusätze dritter, selbst vierter Hand bezeichnet, zeigen die der Entstehungszeit am nächsten stehenden Hss. trotz ihrer vielfachen sonstigen Abweichungen in übereinstimmender Fassung an demselben Orte. Viele andere Hss. sind uns wenigstens so weit bekannt, dass wir wissen, sie können keine der nach v. D. anzunehmenden, ältern Formen enthalten; die Mehrzahl dürfte wenigstens von Sachkundigen insoweit angesehen sein, dass wir schliessen können, enthielten sie eine so auffallend kürzere Form des Rechtsbuches, so würden wir davon wissen. Die Ansicht des H. v. D. beruht also lediglich auf Konjektur.

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1859, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Entstehung_Sachsenspiegel_020.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)