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Und hinter ihm steigen jene heißen Kämpfe auf, die Lessing mit einer polemischen Kraft ohne Gleichen durchfocht, um für alle Zeiten zu erhärten: der Buchstab ist nicht der Geist, die Bibel nicht die Religion, das christliche Dogma nicht die Botschaft Christi… Lessing war kein Bekenner, aber tiefer als die Masse der Aufklärer begriff er die Triebkräfte und den Entwicklungsgang der Religion, so hold der klosterbrüderlichen Herzensfrömmigkeit, wie dem beweisenden Starrsinn einer abgelebten Orthodoxie und dem Schaukeln der Halben feind. Die das Evangelium Johannis trennt, das Testament Johannis soll sie vereinigen: Kindlein, liebet einander! So erhöht Lessing, von der Bühnenkanzel dies A und O predigend, das Theater zum Gefäß des edelsten Gedanken- und Gefühlsinhaltes seiner Epoche. Tretet ein, denn auch hier sind Götter! Wie „Ernst und Falk“ eine weite Idealloge aufthaten, so erschloß Nathan, der gottergebne Mensch, einen lichten Humanitätstempel, worin Sultan, Kreuzritter, Jude zu Einer Familie zusammentreten. Die verschlungenen Ringe unsers Denkmals deuten auf den Einen symbolischen Reif, der das Gelöbniß besiegelt der Toleranz – nein, nicht der Toleranz! denn was kann frostiger sein als das bloße Dulden? – das Gelöbniß der wechselseitigen werkthätigen Liebe.

Zwei allegorische Geschwister[WS 1], die Gestalten der Kritik, der Lessing mit produktiver Kraft diente, und der Wahrheit, deren Suchen ihm theurer war als träger Besitz, halten Wacht an seinem Denkmal. Vorn der hohe Genius[WS 2] mit der Flammenschale der Erleuchtung.

„Ich bin aus dem Geschlechte der Philalethes“ hast du Wahrheitsfreund einst bekannt, nach Wissen hungernd wie Erisichthon, mit der beherzten Losung: Aergerniß hin! Aergerniß her! Du Funkenschläger und Fackelschwinger, der dämmernde Pfade erhellt und so manchem Widersacher heimgeleuchtet hat! Du Phosphoros der deutschen Prosa, der den Hörer zum Finder macht, wenn der Gedanke verfolgt wird, wie vom zielsichern Waidmann das Wild, und die durchsichtige Bildersprache nicht als glitzerndes Geschmeide, sondern als schöne Deutlichkeit leuchtet! Du Schwertfeger, dessen Waffen, so blank und scharf wie am ersten Tag, in jedem deutschen Kampf um geistigen Fortschritt und nationale Ehre mitgefochten haben und mitfechten werden!

Klare Wasser rieseln zu deinen Seiten, wie dein eigenstes Lebenselement die Bewegung war. Sie laden ein zu schöpfen aus dem Quickborn des Geistes und zu tauchen in das Stahlbad deiner Männlichkeit.

Führer scheiden mit einem prophetischen Gruß an die Zukunft. Wie der Große dadrüben seinen von hundertjähriger Last ungebeugten Faust in den getrosten Schlußruf ausbrechen läßt: „Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Aeonen untergehn“, so faßt Lessing’s erzieherisches Testament, die Bahnen der Menschheit messend, das ewige Fortwirken, das Gesetz von der Erhaltung der geistigen Kraft, in das für gemeine Augen befremdliche Bild der Seelenwanderung. In diesem tiefen Sinne der Entelechie lautet Lessing’s Scheidegruß: „Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“

Hier befestige sich nun der betrachtende Erbe im unvergänglichen Werth des Ueberkommenen; aber auch der Schlichteste aus dem Volke, dem Tellheim’s Stube, Schloß Dosalo und der Palmengang Jerusalems fremd sind, spüre Lessing’s elektrischen Schlag, wenn er im ahnenden Gefühl, daß ein Gewaltiger auf ihn niederschaue, das alte und neue Evangelium heimträgt:

Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach!




Druck der Lessing’schen Buchdruckerei (L. Müller) in Berlin.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. handschriftliche Korrektur, Original: Schwestern
  2. handschriftliche Korrektur, Original: die hohe Frau