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schöpferischen Geister. Vor dieser Kritik zerstob der Troß der Sudler und Nachahmer. Das Publikum, zu dem wohlmeinende Satiriker und Fabulisten mit sanftem Mentorlächeln herabstiegen, riß er empor. Hier gewann, unter französischem Antrieb, sein Stil neue Schwingen, von denen der breite Schlendrian bisheriger Wasserprosa nichts ahnte.

Hier gedieh Plan auf Plan, Werk auf Werk des Rastlosen; noch der „Nathan“ wanderte als Berliner Druck in die Lande. Hier rang sich der Neuschöpfer des deutschen Theaters aus dem leblosen Komödientrott und dem Alexandrinerstelzgang los, um mit neuen Stoffen und Ideen, neuen Gestalten, neuen Dialogen zugleich eine neue charakteristische Schauspielkunst herauszufordern. Hier kommt ihm in einer elenden Hanswurstbude der alle Welt verblüffende Einfall, Volksstück und Kunstdrama zu vermählen, und sein Doktor Faust soll über die Hölle triumphiren. Im stillen Potsdam vollzieht er den Bruch mit einer hohlen Aristokratie, die nur deklamirende Halbgötter und Fürsten auf der tragischen Bühne litt, und führt bürgerliche Menschen über die Bretter. Ein Berliner Preisausschreiben ruft die Keime einer modernen Virginia hervor, genannt „Emilia Galotti“. Langsam und nie ohne weise Schätzung, wieviel der arme Deutsche vom französischen Lust- und Schauspiel zu lernen habe, verabschiedet Lessing hier den alten Pariser Tragödienstil, den er dann im Hamburgischen Duell mit Voltaire vollends über die Grenze jagt, ein besonnener Herold Shakespeare’s.

Einst hat hier im königlichen Schloß der unreife sächsische Pastorsohn demselben Meister Arouet, dem größten Schriftsteller der Zeit, gegenübergesessen, gierig aushorchend nach salomonischer Weisheit und doch mitten in aller schülerhaften Bewunderung sein Stachelverslein summend gegen den hageren Schelm; ein Vorwurf für Adolf Menzel. Zum bloßen Diener und Handlanger ist dieser vom kargen Ertrag seiner Feder lebende Jüngling schon zu stolz, zu bewußt seines Werthes und Könnens. Schon reckt er die gelenken Glieder und wirft das Trutzwort hin: „Weiß ich nur, wer ich bin!“ Schon schaut er in einer Zeit, die ihre unmännlichen Kostgänger nach dem knechtischen Sprichwort mit dem Hut in der Hand durchs ganze Land schickte, höhnisch auf die fremde Tafelrunde da oben und schüttet ein bittres Lachen aus über die lustigen Räthe. „Nimmermehr werde ich mich fähig fühlen, eine so niedrige Rolle zu spielen, und wenn auch Ordensbänder zu gewinnen ständen. Ein König mag immerhin über mich herrschen; er sei mächtiger, aber besser dünke er sich nicht.“

Welch ein neuer Ton! Lessings großartiges Selbstgefühl hat nicht nur dem deutschen Schriftstellerstande den Nacken gesteift, seine unantastbare Tapferkeit hat nicht nur die literarischen Gilden zu Paaren getrieben und die Zunftwirthschaft der hohen Schulen gezüchtigt – er half im Zeitalter Friedrichs des Großen die ganze Nation wahrhafter und wehrhafter machen: seine Siege wurden ihre Siege; sein Respekt schuf ihr erhöhte Achtung vor sich selbst und bei den Nachbarn; seine ruhelose Freizügigkeit rüttelte die Stubenmenschen auf; und der Schüchternheit seiner Generation, der Empfindsamkeit des neuen Geschlechts warf er den stählenden Imperativ der Energie entgegen: der Mensch ist zur That, nicht zum Vernünfteln geboren; gut Handeln schwerer und werther als andächtig Schwärmen.

Wenn aber Lessing, bei dem Niemand die gegenwärtige Freude am Staat suchen darf, die damals kein Deutscher hegen konnte, dergestalt den Nationalstolz schürte, so hat wiederum seine humane Weisheit und Milde den Nationalstolz bedeutet, „daß alle Länder gute Menschen tragen.“

Dieser männlichste Dichter und Denker, dessen herzhafte Persönlichkeit selbst dem schlaffen Romantiker mehr imponirte als all seine Talente, fand in Berlin keine Stätte, keinen Mäcen. Noch war es Dänen, Welfen, Ernestinern vorbehalten, den deutschen Genius zu bewirthen. Wer aber möchte Lessing in einen akademischen Hörsal sperren, statt der collegia publica, die er