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Gothische übertrug, sagen müssen, daß seine Aufgabe nicht nur unvergleichlich schwieriger war, sondern daß sie mindestens ebenso geistvoll und vielleicht poesiereicher gelöst wurde.

 Andererseits hat man aber auch die Sittenzustände der Germanen überschätzt, zumal in dem man der einseitigen Idealisierung kritiklos Glauben schenkte, welche Tacitus gegenüber seinen überkultivierten Römern, zwar mit der edelsten Tendenz, aber eben doch mit Tendenz an den germanischen Verhältnissen vornahm.

 Ganz ähnlich wie im vorigen Jahrhundert französische und englische Schriftsteller gegenüber den Lastern und der Lüge zu Paris und London den „tugendhaften Huronen,“ den „edeln Wilden ohne Falsch“ in bester Absicht, aber mit sehr wenig Völkerpsychologie schilderten – ganz ähnlich wollte Tacitus seinen Römern das Bild eines rohen, aber sittenreinen sogenannten „Naturvolks“ entgegenhalten, als er seine Germania schrieb.

 Da nun aber gerade die Verhältnisse der Geschlechter in und außer der Ehe in Rom ganz besondere Symptome der beginnenden Fäulniß aufwiesen, hatte Tacitus das Bedürfniß, gerade diese Dinge bei den Germanen in das hellste Licht zu stellen. Die unleugbar vorhandenen, in dem Nationalcharakter begründeten Vorzüge in der Stellung der germanischen Frau verleiteten ihn nun aber, jene Schattenseiten nicht oder doch nicht genügend hervorzuheben, welche durch den niederen Kulturgrad und die Noth des Lebens bedingt waren.

 Wir werden die Wahrheit zwischen beiden Extremen finden: der Kulturgrad war ein niedriger, der Nationalcharakter und demgemäß die Würdigung der Frau edel; was in der Stellung der Frau jener idealen Werthschätzung nicht entspricht, erklärt sich aus den noch rohen einfachen Anfängen der Kultur; anders gewendet: die Stellung der Frau ist vermöge des Nationalcharakters eine viel günstigere als bei andern Völkern gleicher, ja oft viel höherer Kulturstufe, und das Ungünstige in der Stellung der Frau, was ihrer hohen Würdigung in dem Nationalcharakter nicht entspricht, ist Folge des niedrigen Kulturgrades und des zum Theil noch harten Kampfes ums Dasein.

 Betrachten wir zunächst die Stellung des altgermanischen Weibes im Recht, so müssen Einrichtungen, welche heute als Zurücksetzungen erscheinen, im Zusammenhang mit den Zuständen jener Zeit ganz anders aufgefaßt werden: dahin zählt die Geschlechtsmuntschaft (Vor-Mundschaft) und die Ausschließung oder Beschränkung der Frauen im Erbgang des Grundeigenthums.

 Jene nothwendige Muntschaft, unter der die Weiber wenigstens nach dem Recht der Langobarden und anderer Stämme standen, war die Folge ihrer Waffenunfähigkeit nicht nur im Fehdegang, auch im gerichtlichen Zweikampf: eine Zurücksetzung des Geschlechtes als solchen lag durchaus nicht darin: galt doch gleiche Muntschaft auch für Männer, die z. B. wegen Jugend nicht waffenfähig waren. Diese von dem nächsten Schwertmag, (d. h. dem nächsten durch Männer mit dem Weib verwandten Mann), über Frauen, die in rechter Ehe standen, von dem Gatten geübte Muntschaft

Empfohlene Zitierweise:
Felix Dahn: Das Weib im altgermanischen Recht und Leben. Verlag des Deutschen Vereines zur Verbreitung gemeinnütziger Kentnisse in Prag, Prag 1881, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Felix_Dahn_-_Das_Weib_im_altgermanischen_Recht_und_Leben_-_02.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)