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Eine Orangenblüthe.




Von
Mathilde Feldern-Rolf.

Vor ungefähr zwanzig Jahren war es, daß in einer mondhellen Nacht auf der Piazzetta di S. Marco auf der zweiten Stufe von der Säule des geflügelten Löwen eine weibliche Gestalt zusammengekrümmt saß. – Ein weißes Tuch verhüllte Haupt und Brust, die Arme waren auf die Knie, der Kopf in die Hände gestützt, – so saß das Geschöpf regungslos und starrte hin gegen den Dogenpallast.

Nur wenige Vorübergehende bemerkten die Gestalt, und die sie bemerkten, kümmerten sich nicht darum, – entweder weil sie schon seit einer Woche daran gewöhnt waren sie Nachts dort sitzen zu sehen, – oder weil der Platz, welchen das Weib gewählt hatte, wie bekannt, zu jenen von jedem echten Venezianer gemiedensten gehörte, da zur Zeit der Republik zwischen den beiden Säulen des geflügelten Löwen und des heil. Theodor der Richtplatz war.

Auf dem Glockenthurme schlug es zwei Uhr, ein junger Bursche, der schon lange im Schatten unter den Bogengängen

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Mathilde Feldern-Rolf: Eine Orangenblüthe. In Commission bei Jacob Dirnböck., Wien 1844, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Feldern-Rolf_Orangenbluethe.pdf/1&oldid=- (Version vom 14.2.2021)