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Nereus.

Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?

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Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!

Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;

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Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,

So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.

Thales.
Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir;
Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!
Schau’ diese Flamme, menschenähnlich zwar,

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Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar.


Nereus.
Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.

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Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,

Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,

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Gebälke glühend, unten Mord und Tod:

Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,

Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Faust - Der Tragödie zweiter Teil. Tübingen 1832, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Faust_II_(Goethe)_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)