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432 Neuntes Buch.


die eheliche Gemeinschaft hinaus, nur weil sie unter der Erdichtung von jungfräulicher Scham erkunden wollte, ob sie dem Reiche einen Nachfolger schenken würde. Andere Quellen vermuten, dass sie die Freuden des Ehebetts abgewiesen habe, um durch ihre Enthaltung den Gatten für das Christentum zu gewinnen. Jedoch, obgleich der junge Ehemann brennendes Verlangen nach ihrer Liebe trug, wollte er doch lieber ihrer Enthaltsamkeit als seinem Liebesdrange nachgeben und hielt es für rühmlicher sein Verlangen nach sinnlichem Genusse niederzudrücken, als den flehentlichen Wunsch seiner Gemahlin abzuweisen; er dachte natürlich nicht anders, als dass die einer bestimmten Absicht entstammende Bitte ihren Grund in der Keuschheit hätte. So kam es, dass er, der die Rolle des Ehemanns hätte spielen müssen, zum Wächter ihrer Keuschheit wurde, um nicht zu Beginn der Ehe den Tadel einer unzüchtigen Gesinnung auf sich zu laden, weil er mehr dem Drange der Lust gehorcht hätte, als dem Schamgefühl. Um nicht den verweigerten Liebesgenuss der Jungfrau in unkeuscher Umarmung vorwegzunehmen, berührte er nicht nur seine Nachbarin auf dem Bette nicht, sondern schied sie von sich durch ein blankes Schwert und machte so aus dem Ehebette ein getrenntes Lager für sich und seine Frau. Aber den Genuss, den er in freiwilliger Ehrenhaftigkeit aufschob, erlangte er bald durch ein freudiges Traumbild. Als er nämlich in tiefen Schlaf gesunken war, da träumte er, dass zwei Vögel dem Schosse seiner Gemahlin entstiegen, jedoch der eine grösser als der andere, sich hoch schwangen und in raschem Fluge bis zum Himmel aufstiegen; dass sie dann nach kurzer Zeit zurückkamen und sich zu beiden Seiten auf seine Hände setzten. Nochmals und zum dritten Male breiteten sie nach einer Erquickung durch kurze Ruhe ihre Flügel aus [320] 320und schwangen sich in die Luft, und endlich kam der kleinere von ihnen mit blutbesprengten Schwingen ohne den andern zurück. Durch dieses Gesicht erschreckt, machte er, in tiefem Schlafe liegend, seiner Beklemmung durch ein Stöhnen Luft, und sein lauter Schrei ging durch das ganze Haus. Als er

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)