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300 Siebentes Buch.


Augen zu einem Aufblicke zu bewegen; da schied er voller Verwunderung ob der unbesieglichen Strenge. Ein Riese, der dasselbe versuchte, musste auch sehen, dass er nichts erzielte; der stellte aber eine Frau an; die spielte eine geraume Zeit die Magd bei der Jungfrau, schlich sich in ihr Vertrauen ein und führte sie einmal unter schlau erdachtem Vorwande für die Entfernung weit weg von dem Hause des Vaters; da überfiel sie der Riese und schleppte sie in eine enge Verzäunung im Waldgebirge. Andere stellen die Sache so dar, dass er selbst sich in eine Frau verwandelt, das Mädchen listig weggelockt, weit von dem Vaterhause weggeführt und so den Raub vollbracht habe. Als Othar das erfuhr, durchforschte er die Schluchten des Gebirges, um die Jungfrau auszuspüren, fand sie, erschlug den Riesen und führte sie mit sich weg. So eigentümlich aber hatte aufdringlich der Riese das Haar des Mädchens mit fester Verflechtung zusammengebunden, dass die verworrene Masse des Haares mit einer Art geschürzten Gekräusels festgehalten wurde, und man nicht leicht, ausser durch das Eisen, die enge Verschlingung des Gelocks entwirren konnte. Wiederum versuchte er durch mancherlei Lockmittel den Blick des Mädchens auf sich zu lenken, aber er versuchte seine Kunst vergebens an den unbeweglichen Augen und gab endlich, da sein Vorhaben nicht nach Wunsch von statten ging, sein Bemühen auf. Schänden aber wollte er die Jungfrau nicht: er konnte sich nicht dazu entschliessen, den Spross eines erlauchten Geschlechts durch Beischlaf, der das Licht der Öffentlichkeit scheute, zu beflecken. Als sie mannigfache gewundene Pfade in der Einöde lange irrend durchlief, begab es sich, dass sie zu der Hütte einer schrecklichen Waldfrau geriet. Von dieser wurde sie dazu verwandt, die Herde ihrer Ziegen zu hüten, und als sie wiederum durch Othars Hilfe die Freiheit erlangt hatte, wurde sie von ihm mit folgender Anrede versucht:

[226] 226Willst Du meinen Worten Gehör nun schenken
Und mit gleicher Lieb’ meine Lieb’ erwidern,
Lieber als hier stehn zu der Hut der Herde
     Stinkender Ziegen?

Empfohlene Zitierweise:
Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_310.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)