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VI. Ingell, Starkather. 271


Gemütes das Andenken an seinen erlauchten Herren nicht losgerissen werden konnte, und dass er aus diesem Grunde keinen Augenblick schwankte, das frühere Freundschaftsverhältnis der jetzt ihm entgegengebrachten Güte vorzuziehen. Übrigens wusste er, der früheren Beschimpfung eingedenk, der nachfolgenden Gefälligkeit keinen Dank; denn er konnte den Ärger über den Angriff auf sein Ehrgefühl nicht los werden. Die Bilder von Kränkungen und von Wohlthaten haften eben fester in dem Herzen der Helden als der Weichlinge. Er war nicht ein Charakter wie solche, die an den Freunden im Glücke hängen, im Unglücke sie verlassen und die mehr dem Glücke als der Freundschaft ihren Kult weihen, denen der Sinn mehr steht auf den eigenen [203] 203Vorteil als auf Wohlwollen gegen andere. Als aber die Frau, hartnäckig in ihrem Vorsatze, sah, dass sie auch so nicht aus dem Greise eine gastliche Heiterkeit herauslocken konnte, da wies sie einen Pfeifer an zu spielen, um den Versuch ihm zu schmeicheln mit einer noch feineren Huldigung zu begleiten und dem Gaste noch grössere Ehre zu erweisen; sie befahl eine Weise, mit der sie seinen hartnäckigen Unwillen zu beugen gedachte; mit Hilfe des kunstvollen Tonstücks wollte sie die natürliche Stärke seiner Ungnade brechen. Jedoch der Pfeife und der Saiten Lockruf blieb wirkungslos bei dem Versuche, den harten Sinn des Mannes zu erweichen; denn der Hörer fühlte aus dem ihm gewidmeten Kult mehr die versteckte Nebenabsicht als wirkliche Zuneigung heraus. Daher kam es, dass der in seiner Erwartung getäuschte Tonkünstler mehr für eine Statue als für einen Menschen zu spielen schien und die Lehre erhielt, dass der schwere Ernst vergebens durch Possenreisser-Künste angegriffen wird, und dass durch den wesenlosen Hauch des Mundes eine grosse Masse nicht aus dem Gleichgewichte gebracht werden kann. Denn Starkather behielt steif und fest den Ausdruck des Unwillens in seiner Miene, so dass sein Gesichtsausdruck in keiner Beziehung weicher als sonst erschien: die seinen Gelübden gebührende Festigkeit, die sich weder durch die Töne der Pfeife, noch durch die Verlockung des Gaumens ködern liess, glaubte

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_281.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)