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88 Drittes Buch.


zu besitzen. Jungfrauen erglühen ja an der Tüchtigkeit der Jünglinge, und wenn die Gestalt nicht recht gefällt, erwirbt die Trefflichkeit ihre Gunst. Viele Wege findet die Liebe; dem einen öffnet die Thür zur Lust die Wohlanständigkeit, dem andern der Mut, dem dritten der kunstreiche Sinn; [70] 70manchem gewinnt freundliches Wesen das Herz der Frauen, andere macht die schöne Gestalt lieb: tapfere Männer schlagen den Mädchenherzen eben so tiefe Wunden wie schöne.

Es begab sich aber, dass Balderus, des Othinus Sohn, die Nanna im Bade erblickte und von unendlicher Liebe ergriffen wurde; ihn versetzte der strahlende Glanz des wohlgestalteten Leibes in Erregung und seinen Sinn entflammte die herrliche Schönheit. Der stärkste Reiz der Lust ist ja die Anmut. Er beschloss, also den Hother, von dem er am meisten eine Störung seines Wunsches befürchtete, mit dem Schwerte zu beseitigen, damit nicht seine Liebe, die keinen Aufschub ertrug, durch ein Hindernis in der Erlangung des Genusses gehemmt würde.

Zu derselben Zeit wurde Hother auf der Jagd durch einen Nebel irre geführt und geriet in die Behausung von Waldjungfrauen; als er von ihnen mit seinem Namen begrüsst wurde, fragte er, wer sie wären. Sie antworteten ihm, durch ihr lenkendes Eingreifen würde hauptsächlich das Schlachtenglück entschieden. Oft seien sie, für niemand sichtbar, mitten im Kampfe, und durch unbemerkte Unterstützung verschafften sie ihren Günstlingen glücklichen Erfolg. Nach Belieben könnten sie Glück schenken und Unglück verhängen; sie erzählten ihm noch, dass Balder die Nanna beim Baden erblickt habe und in Liebe zu ihr entbrannt sei; er solle sich aber hüten, ihn mit Waffen anzugehen, obschon er den bittersten Hass verdiene, denn er sei ein Halbgott, aus dem mit Geheimnis bedeckten Samen der Himmlischen entsprossen. Sowie Hother dieses von den Mädchen gehört hatte, verschwand die Behausung mit ihrem Dache, er sah sich unter freiem Himmel und ohne jede schützende Decke mitten auf dem Gefilde ausgesetzt. Er staunte gewaltig über das plötzliche Verschwinden der Mädchen und über die verwandelbare Stätte mit dem Trugbilde der Behausung. Er wusste nicht,

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)