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70 Zweites Buch.


gegen ihren Sohn nur auf einen Wechsel in der Ehe hinarbeitete. Denn da man überhaupt dem Weibersinne kein Vertrauen entgegenbringen darf, so war der Glaube, den er der Frau schenkte, deshalb ganz besonders thöricht, weil er sich einbildete, sie könne ihm treu und dem Sohne gegenüber arglistig sein.

Rolf liess sich durch die grossen Versprechungen bestimmen, herüberzukommen; als er aber den Palast des Atisl betrat, wurde er infolge der langen Trennung von einander und des fehlenden Verkehrs von der Mutter nicht erkannt und bat im Scherze um ein Stück Brot, seinen Hunger zu stillen. Die Mutter wies ihn ab, ein Mahl müsse er vom Könige heischen; da hielt er ihr sein zerrissenes Kleid hin und ersuchte sie, es ihm zu nähen. Als er bei seiner Mutter nur verschlossene Ohren fand, da sagte er, es sei doch recht schwer, eine wahre und feste Freundschaft zu finden, wenn dem Sohne die Mutter einen Bissen Brot, und dem Bruder die Schwester die Gefälligkeit einiger Nadelstiche abschlüge. So rügte er den Irrtum der Mutter und beschämte sie sehr ob der Versagung der Gefälligkeit. Als ihn nun beim Mahle Atisl hart neben der Mutter sitzen sah, strafte er beide der Leichtfertigkeit und nannte das Zusammensitzen von Bruder und Schwester unanständig. Ihm entgegnete Rolf, ehrbar sei an einem Sohne die liebevolle Umarmung der Mutter, indem er so eine Verteidigung seiner angegriffenen Sittenreinheit von dem engsten Bande der Natur herleitete. Als die Tischgenossen ihn fragten, welche Heldentugend er über alle andern stelle, nannte er die Ausdauer. Als nun auch Atisl von ihnen gefragt wurde, welcher tüchtigen Eigenschaft er vor allen das Streben seines Sinnes gewidmet habe, da erfrechte er sich, die Freigebigkeit zu nennen. Es wurden nun Proben, der Beherztheit vom ersteren, der Freigebigkeit von dem letzteren verlangt, und zwar sollte Rolf zuerst einen Beweis von seinem Heldenmute geben. Er wurde ans Feuer gestellt; da hielt er den Schild vor die Seite, wo er empfindlicher von der Glut getroffen wurde, und während so die eine Seite des Körpers gedeckt war, gewährte er der andern ungedeckten allein Kraft durch seine harte Ausdauer. Es war

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Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)