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4 Vorrede


Die alten Dänen haben, worauf ich hier hinweisen will, wenn hervorragende Thaten der Tapferkeit vollbracht waren, [3] 3 von Ruhmeseifer durchdrungen, in Nachahmung der römischen Litteratur nicht allein einen Bericht über ihre Grossthaten in einer auserlesenen Art von Darstellung, gleichsam wie in einem poetischen Werke gegeben, sondern haben auch die Thaten der Ahnen, die durch Gedichte in der Muttersprache verbreitet waren, in Buchstaben ihrer Sprache auf Steine und Felswände eingraben lassen. In ihren Fussstapfen stehend, gleichwie auf Buchrollen des Altertums fussend, und ihrem Inhalte in treuer Übersetzung Schritt für Schritt nachgehend, habe ich Verse durch Verse wiedergegeben, und da sich meine ganze Darstellung auf diese Grundlage stützt, so mag sie nicht als jetzt frisch geschaffen betrachtet werden, sondern muss als ein Erzeugnis der alten Zeiten gelten; denn das vorliegende Werk verspricht nicht inhaltleeres Wortgepränge, sondern treue Kunde der Vorzeit. Welches gewaltige Geschichtswerk hätten wohl die Menschen dieses Geistes geschaffen, wenn sie ihren Drang zum Schreiben mit Kenntnis der lateinischen Sprache genährt hätten! Denn obwohl ihnen die Bekanntschaft mit dem römischen Worte abging, hat sie doch ein so heisses Verlangen erfüllt, ihre Thaten der Nachwelt zu überliefern, dass sie als Schriftrollen grosse Felsmassen benutzten, eine Steinplatte zur Verwendung als Schreibblatt heranzogen[1].

Auch die Thätigkeit der Isländer darf nicht von mir verschwiegen werden. Da sie wegen der natürlichen Unfruchtbarkeit ihres Landes die Mittel zu einem üppigen Leben entbehren, ein nüchternes Leben unausgesetzt führen und alle ihre Lebenszeit auf die Pflege der Kenntnis fremder Thaten verwenden, so wägen sie ihre Armut mit ihrer geistigen Tüchtigkeit auf: aller Völker Geschichte zu kennen und weiter zu geben, das ist ihnen Lebensgenuss; sie erachten es als eben so ruhmreich, fremde Heldenthaten zu schildern, wie ihre eigenen darzustellen. Ihre mit geschichtlichen Zeugnissen angefüllten Schatzkammern habe ich eifrig zu Rate gezogen


  1. Wortspiel mit codicum und cautibus.
Empfohlene Zitierweise:
Saxo Grammaticus: Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus. Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann, 1901, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erl%C3%A4uterungen_zu_den_ersten_neun_B%C3%BCchern_der_D%C3%A4nischen_Geschichte_des_Saxo_Grammaticus_014.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)