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ihnen treiben. Wie eindrucksvoll ist der Unterricht in der Geschichte, wenn Ort und Zeit ihn so wirksam unterstützen, wie es in diesem Kriege sonderlich geschieht! Es mag auch hier die Gelegenheit sein, wo von Tagebuchblättern im Kriege zu sprechen ist. Daß die Geistlichen in oft trefflichen und beweglichen Berichten der heimatlichen Kirchenbehörde Einblick in ihre Aufzeichnungen gönnen, soll gerühmt werden, denn es sind mehr als flüchtige Leistungen. Wenn die Diakonissen ihre Tagebücher schlicht und ohne viel Reflexion führen, und vor allem auch ihre Kranken in den Lazaretten dazu anhalten, anspruchslose Erinnerungen niederzuschreiben, kann das für spätere Zeiten von hohem Werte sein. Es wird ja eine Flut von Erinnerungen hervorbrechen, die manches Unbewährte und subjektiv Gefärbte hervorbringen wird, aber das wirklich Gute wird bald den Sieg gewinnen. Möge man nur allenthalben von den Grundsätzen des Generalisierens sich enthalten! – Aus solchen Erinnerungen wird dann auch der eigentliche „Volksgeist“ wie im Querschnitte der Beobachtungen sich ergeben. Das Tiefste, Originellste, die Eigenart des in seinen Wurzeln noch kerngesunden deutschen Charakters wird aus solchen von offiziellen Rücksichten und Erwägungen freigehaltenen Tagebüchern heraus sich stellen. Wie wir jetzt schon aus Soldatenbriefen Einblick in die Volkspsyche zu tun Gelegenheit haben, die sich am liebsten von Leuten aus dem Volke beeinflussen und leiten läßt. So war es nicht wenig bedeutsam, daß ein einfacher Soldat von seinem Kameraden rühmt, welche Kraft der Heiligung von ihm ausgehe, „und doch sei er in der Schlacht immer vornedran“. Das Volk zu verstehen, ist meist nur der ganz fähig, der hundert Jahre mit ihm gelebt hat, sein Fühlen und Empfinden teilt und kennt. Volkslyrik wie die des 30 jährigen, des 7 jährigen Krieges, die aus den Freiheitskriegen geboren, die dem 70 er Krieg entstammt, scheint in diesem furchtbarsten

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Hermann von Bezzel: Erinnerungen aus Berufsreisen an die Front. Krüger & Co., Leipzig 1917, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erinnerungen_aus_Berufsreisen_an_die_Front_40.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)