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nicht dich, sondern deine Stiefel.“ Dabei deutete er mit seinem Bogen in die Ecke, wo die ungeputzten Stiefel des Vaters standen. Durch diesen Einfall besänftigt, lachte der Vater und setzte sich wieder ruhig auf seinen Stuhl. Als ich abends nach Hause kam und mir obiges erzählt wurde, sagte ich zu dem Vater allein, er möchte den Knaben nicht mehr beim Üben tadeln und erklärte ihm, wie schwer die Erlernung des Violinspiels sei und daß die Übungsstücke nicht jedesmal angenehm klingen könnten etc. Und so unterblieb das Tadeln des Vaters für immer.

Bei der Mutter hingegen verhielt es sich ganz anders. Sie hatte ein außergewöhnliches Gefühl für Musik und sang sehr schön, daher der Knabe sie ungemein liebte und oft zu ihr sagte: „Mutterchen, wenn ich falsch geige, so sage mir’s nur, denn du hast ein feines musikalisches Gehör und hast in Stuttgart und Wien schon große Meister der Geige gehört.“ Ebenso folgte er mir in allem bereitwillig, und weil er wußte, daß ich es war, der ihm das Geiglein geschenkt und ihm alle Tage Unterricht geben ließ, so hing er mit inniger Zärtlichkeit an mir. Alle Tage vor- und nachmittags, wenn ich aus der Schule kam, ging er mir ein Stück weit entgegen und hüpfte vor Freude, sobald er mich kommen sah. Da ich in seinem elterlichen Haus wohnte, so mußte man ihn auf seine

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Joseph Epple: Eduard Keller, Erinnerungen aus seiner Kindheit. Stuttgart: Kohlhammer 1904, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Epple_keller_11.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)