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schon bemerkt, kein schulgerechter Geiger bin, so ließ ich den Kleinen durch den Stadtmusikus Neher, der ein guter Violinspieler ist und nach richtiger Methode lehrte, unterrichten. Die Fortschritte des Kindes waren auffallend. Er hatte ein außerordentlich feines Gehör, jeder Mißton griff ihn heftig an. Als er sich eines Tages übte, hörte er vor dem Haus das widrige Geschnatter mehrerer Enten. Er schlich sich sogleich mit seiner Geige hinunter, suchte den Ton, aus dem sie so häßlich schrien, fand, daß es B auf der G-Saite war und sagte zu den Enten, deren es sechse waren: „O ihr Esel! Könnt ihr drei hinteren nicht D nehmen? Müßt ihr auch so schreien, wie die andern? Würdet ihr D nehmen, so wäre es doch ein Terzenklang.“ Darauf stimmte er, geigend und singend zugleich, den Ton an, aber die Enten blieben halt bei ihrem Unisono. Da wurde er zornig und ging, indem er sagte: „Marschiert, ihr Esel.“

Ein andermal hörte er zwei Mädchen aus der Nachbarschaft sehr laut weinen. Mit der Geige in der Hand ging er auf die Beiden zu und sagte dem ersten Mädchen, indem er den Ton A anspielte: „Weine du aus diesem, und du (der anderen F angebend) aus diesem Ton, dann thut’s schön und nicht wüst.“ Dieser Vorschlag verwandelte sofort das Weinen der Mädchen in schallendes Gelächter. Leute

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Epple: Eduard Keller, Erinnerungen aus seiner Kindheit. Stuttgart: Kohlhammer 1904, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Epple_keller_09.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)