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Walther Kabel: Eine aufregende Fahrt. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 215–220

recht sanfte Strömung. Auf meine Frage, ob schon jemand den Versuch gemacht habe, auf diesem Wege in das Innere des Gebirges einzudringen, wich der Alte mit allen Zeichen des Entsetzens zurück. Über seine Behauptung, daß der unterirdische Wasserlauf von bösen Geistern bevölkert sei, lächelte ich natürlich im stillen. Ich hatte keine andere Antwort erwartet. Als ich nun die Absicht äußerte, mit einem Boote mich den Wogen des Kung-ho anzuvertrauen, um festzustellen, wie weit der von Bergen überdachte Fluß befahrbar wäre, beschwor der Dorfbeherrscher mich aufs eindringlichste, wahrscheinlich weil er fürchtete, daß durch meinen Tod die aussichtsvollen Handelsbeziehungen vereitelt werden könnten, von meinem Vorhaben abzustehen. Trotzdem gab ich meinen Plan nicht auf.

Am Morgen des 18. September war alles zur Abfahrt bereit. Da, im letzten Augenblick, streikte mein sonst recht mutiger Diener, den die abergläubische Furcht der Dorfbewohner angesteckt haben mochte. Erst langes Zureden meinerseits brachte ihn wieder zur Vernunft. Das ganze Dorf hatte sich vor dem Felsentor versammelt. Wir stießen vom Ufer ab und wurden von der Strömung bald in das Dunkel des Berginneren entführt. Die Harzfackeln, die ich am Bootsrande befestigt hatte, beleuchteten mit unsicherem Licht die zackige Felsdecke und das unheimlich gurgelnde Wasser. Mit Hilfe von langen Holzstangen suchten wir unser Fahrzeug möglichst in der Mitte des Flusses zu halten.

Erst ging es wohl eine halbe Stunde lang ohne merkliche Biegungen geradeaus. Die Höhlung, die der Strom hier im Laufe von Jahrtausenden in dem Fels ausgewaschen oder doch jedenfalls erweitert hatte, wechselte beständig in ihren Abmessungen. Oft traten die Wände zu einer geräumigen Grotte zurück, oft verengten sie sich bis auf zwei Meter. Häufig mußten wir uns flach in unserem Nachen niederlegen, da wir uns sonst an der Felsdecke die Köpfe eingestoßen hätten.

Genau fünf Minuten nach acht Uhr hatten wir die abenteuerliche Fahrt angetreten. Um neun Uhr merkte ich, daß die Strömung allmählich stärker wurde. Bald vernahm ich

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Walther Kabel: Eine aufregende Fahrt. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 215–220. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_aufregende_Fahrt.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)