Seite:Eine Herbstfahrt in den Rosengarten 37 03.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Phantasie dazu, sich zu vergegenwärtigen, wie es oben in den Bergen aussehen würde, und hätten wir unseren Übergang einen Tag später zu machen gesucht, so würde der Versuch höchst wahrscheinlich gründlich gescheitert sein.

Daß diese verfrühte Winterlandschaft sich erst jenseits des Karrerseepasses nach und nach verlieren würde, lag auf der Hand, und so nahmen wir denn das Anerbieten unseres Wirthes an, uns nach Welschnofen zu fahren, wo das Gröbste hinter uns lag; wir wären sonst bis auf die Haut durchnäßt nach Bozen gekommen. Es wurde immer winterlicher, je näher wir der Höhe des Karrerseepasses kamen, und als wir dieselbe erreicht hatten und im Rosengartenhof einkehrten, fehlten zur Weihnachtsszenerie nur noch die Schlitten.

Der Rosengartenhof verdankt gleich dem unweit entstandenen großen Karrerseepaß-Hotel sein Dasein der neuen Kunststraße, die von Welschnofen im Anschluß an die Eggenthalstraße über den Karrerseepaß nach dem Fassa- oder Falzthal[WS 1] führt. Früher stand nur ein kleines bescheidenes Wirthshäuschen, die „Alpenrose“, hier, in dem ich vor Jahren, spät im November, der Gast der Straßenbau-Ingenieure war, die in diesem Wirthshäusel ihr Baubureau aufgeschlagen hatten. Jetzt mögen die bescheideneren Touristen dem Rosengartenhof zufallen – das Karrerseepaß-Hotel ist nur für Kommerzienräthe, Engländer usw., die in eigenem Geschirr angerollt kommen, und die bestaubten Fußwanderer würden sich auch unter all den Protzen sicher sehr unbehaglich fühlen. Ich habe kaum einen Blick auf das Hotel geworfen, das in der allernächsten Nachbarschaft des stillen, grünen, melancholischen kleinen Sees, in dem die fahlen Zacken und Zinnen der Latemargruppe sich spiegeln, sehr wenig am Platze ist und ein fremdes, störendes Element in die hochpoetische Landschaft bringt, und die Menschenklasse, die in diesen modernen, „feinen“ Riesen-Karavanserais der reisetollen Kulturwelt sich breit macht, ist mir so zuwider, daß ich wohl sagen kann: „Selbst in den Bergen athme ich erst dann leicht und frei, wenn ich die Region der Hotels unter mir habe und emporgeklommen bin in die Region der einfachen, aber sauberen und schmucken „Hütten“. So geht es gewiß noch Tausenden von Denen, die man vorschnell als „waghalsige Bergfexe“ abthut; sie müssen eben hoch hinauf in die wilden und unzugänglichen Regionen der Bergwelt, um sich als Menschen zu fühlen und der Natur klopfenden Herzens in die dunklen, geheimnisvollen Augen zu schauen. Gewiß ist das Bergsteigen für Viele auch nur eine Modesache und sie wollen nur mitreden und – mitrenommiren und dem biederen Philister eine Gänsehaut verursachen können, aber man möge das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und nicht vergessen, daß unter den Kletterern auch die echten Naturfreunde sind, die tapferen, lauteren, freiheitsdurstigen Herzen, die dort oben den Naturzustand suchen und die aufjauchzen im Kampfe mit den ungebändigten, übermächtigen Gewalten, die immer sein werden, wie sie von Anbeginn gewesen.

In Welschnofen hielten wir Mittagsrast und verabschiedeten unser Fuhrwerk, um thalab gen Kardaun an die Südbahn zu ziehen. Ich kannte den Weg durch’s Eggenthal mit seinen zahlreichen Kunstbauten, Sprengungen usw. nur von einem Nachtmarsch, den ich einst beim Schein der Spanfackel mit Santner ausgeführt; gegen die schauerliche, erhabene Wildheit jenes Nachtmarsches, bei dem jedes Stückchen Weg tiefer hinein in den Schlund der Hölle Dantes zu führen schien, fiel natürlich dieser Marsch im ehrlichen Tageslicht empfindlich ab und ich habe es wieder tief empfunden, wie poetisch die Nacht, wie prosaisch der Tag sein kann. Es war eigentlich schade, denn für Den, welcher nicht bei Nacht und bei irrem Fackellicht diese Straße gezogen ist, hat sie auch bei Tage des Wilden und Phantastischen gerade genug und darf für ein Schaustück des südtiroler Landes gelten, wie denn überhaupt die sämmtlichen Eingänge in die Dolomiten außerordentlich reizvoll sind: Vilnöß–St. Peter, Weidbruck–St. Ulrich, Blumau–Tiers und Kardaun–Welschnofen wetteifern miteinander, und jeder dieser Wege hat Vorzüge vor allen anderen.

In Kardaun ward noch einmal gerastet; im Oktober zur Zeit der Weinlese, wo jedes Dorf nach Most duftet und jedes Fuhrwerk, dem man begegnet, ein Stückfaß geladen hat, befindet sich Alt und Jung in einer feucht-fröhlichen Stimmung, und diese Stimmung steckt auch den Nüchternsten an und nimmt ihm den Muth, die Frage der Kellnerin: „Noch ein Viertele?“ mit einem rauen: „Nein!“ zu beantworten. Sie zechen Alle, Männlein wie Weiblein, und sind mit einem leichten Räuschchen doppelt genießbar, weil doppelt menschlich. Unseren Freund Santner büßten wir hier ein; er blieb kleben und hat später sogar noch mitgetanzt; wir Anderen marschirten in goldigem Abendlicht hinein nach Bozen, nicht ganz frei von einem bescheidenen Stolze darauf, sicherlich die Letzten gewesen zu sein, die in diesem Herbst den Grasleitenpaß überschritten und in den beiden Leipziger Hütten gerastet hatten. –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fassaoder Falzthal
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Eine Herbst-Fahrt in den „Rosengarten“. Goldhausen, Leipzig 1899, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_Herbstfahrt_in_den_Rosengarten_37_03.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)