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die Gott nicht an alle stellt, deren Erfüllung vielmehr ein sonderliches Verdienst vor Gott erwirbt. Als solche evangelische Ratschläge sehen sie etwa an das Wort an den reichen Jüngling: „Verkaufe alles, was du hast und gib’s den Armen und komm und folge mir nach.“ Sie verstehen Jesu seelsorgerliches Vorgehen mit jenem Jüngling nicht. Der Herr wollte jenem Jüngling, der meinte, alle die Gebote Gottes gehalten zu haben von Jugend auf, zeigen, daß er noch lange nicht mit dem ersten Gebot fertig sei, sonst müßte er ja, wenn er wirklich Gott über alles gestellt und geliebt hätte, leicht und fröhlich den Entschluß gefaßt haben, im Gehorsam gegen Christi Wort alles zu verlassen und als sein Jünger ihm nachzufolgen, um sein Zeuge vor der Welt zu werden. So hat die katholische Kirche die Anschauung, daß durch besondere Leistungen, die nicht unbedingt von jedem verlangt werden, ein besonderes Verdienst erworben werden könne. Dieser römische Begriff von guten Werken als besonderer Einzelleistungen, die man vollbringt, ohne dazu unmittelbar verpflichtet zu sein, lebt freilich vielfach auch in den Herzen evangelischer Christen, weil es eben dem selbstgerechten Sinn des natürlichen Menschen entspricht. Man bekommt in niederen wie höheren Schulen auf die Frage: was sind gute Werke? selten eine andere Antwort als die: Wenn man einem Armen etwas gibt oder etwas Besonderes für die Kirche tut. Das ist ein falscher Begriff der guten Werke. Der evangelische Christ soll wissen, daß wir schuldig sind uns mit allem, was wir sind und haben, Gott zu einem Opfer des Dankes darzubringen und unsere Freude ist es, wenn wir es dürfen, wenn Gott uns die Möglichkeit gewährt und uns so führt, daß wir ihm und seiner Sache in etwas dienen können. Darüber spricht sich besonders der vorhin angeführte 16. Artikel der Augsburgischen Konfession aus, der zunächst von Polizei und weltlichem Regiment, nämlich von den obrigkeitlichen Ordnungen in der Welt handelt. Da ist dargelegt, daß nicht das rechte christliche Vollkommenheit sei, wenn man äußerlich gewisser Dinge sich entschlage, ins Kloster gehe und anderes mehr, sondern daß man die Liebe gegen Gott zu beweisen habe ein jeder in seinem Stand, in den Gott ihn stellt, durch Erfüllung der göttlichen Gebote.

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Wenn wir aber von dem Verhältnis von Glauben und guten Werken sprechen, dürfen wir dabei die reformierte Kirche nicht völlig übergehen. Sie ist an sich mit uns in der Rechtfertigungslehre eins, aber ein bezeichnender Unterschied tritt hervor in der Frage nach der Gewißheit des Heils. Dem katholischen Christen garantiert die Kirche die Heilsgewißheit auf Grund der Werke, die er im Gehorsam gegen die Kirche verrichtet, dem reformierten Christen gibt die Lebenserneuerung die Versicherung des Heils. Wir sagen: die Erneuerung des Lebens, daß der Geist Gottes uns zum Guten treibt, mag uns eine Gewißheit mehr sein, daß Christi Geist in