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Vorfall ist ihm unterlaufen, von dem wir kurz reden müssen, es ist die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen. Derselbe war mit seiner eigentlichen Gemahlin, einer Verwandten Kaiser Karl V. völlig zerfallen und lebte längst getrennt von ihr. Er vermochte nicht sich zu enthalten, immer wieder kamen Versündigungen vor und jahrelang enthielt er sich des Sakraments, weil er sich nicht für würdig erachtete. Schließlich faßte er den Entschluß eine neue Ehe einzugehen mit dem Hoffräulein Margarete von der Saale. Eine Ehescheidung, womit jetzt die Großen der Welt und andere sich zu helfen wissen, gab es damals wie jetzt noch in der römischen Kirche nicht und so glaubte Luther i. J. 1540 ihm den seelsorgerlichen Rat geben zu dürfen, eben doch diese weitere Ehe, nachdem er tatsächlich von seiner ersten Gemahlin längst getrennt war, einzugehen, ohne zu bedenken, daß wenn die freilich geheim zu haltende Sache bekannt würde, dadurch der Landgraf in die größte Schwierigkeit geraten mußte, da nach dem damals geltenden Gesetz die Doppelehe mit dem Tode bestraft wurde. Die Sache hat der Reformation manchen Schaden getan. Es ist ein irriger seelsorgerlicher Rat zu dem Luther sich glaubte verstehen zu müssen unter Hinweisung auf alttestamentliche Patriarchen, ohne zu bedenken, daß Sinn und Geist des Neuen Testaments die Wiederherstellung der völligen Einehe von selbst mit sich gebracht haben. Auch als Organisator ist Luther nicht gerade hervorragend gewesen, aber er verzichtete auch völlig auf jegliche Selbstgenügsamkeit. Er meinte nicht, daß er überall das Richtige finde und erkannte Fehler und Mängel an. Er hat stillschweigend zugegeben, daß noch eine Weiterführung des Reformationswerkes nach mancher Seite hin denkbar sei. Calvin hätte ein derartiges Zugeständnis weder laut noch still gemacht. Gerade im Unterschied von ihm tritt Luthers Verzicht auf jegliche Selbstgenügsamkeit uns entgegen. Eben das hat ihn auch mit zum Reformator der Kirche besonders befähigt. Wir gestehen gerne zu, daß die Reformation nach manchen Seiten hin eine andere Organisation, einen besseren Fortgang hätte finden können. Manche guten Ansätze sind bald wieder verschwunden, zu Anderm ist es gar nicht gekommen. Die Reformation bleibt ein von Gott herbeigeführtes aber von Menschen ausgeführtes Werk, darum entbehrt sie mancher Unvollkommenheit nicht. Was wir damit zugestehen ist im Sinne Luthers. Wir danken Gott, daß Er diesen Mann so sichtlich zum Reformator der Kirche bestimmt und zubereitet hat. Ja er ist das auserwählte Rüstzeug Gottes gewesen zur Herbeiführung des längst ersehnten Werkes. Auf ihn sonderlich dürfen wir das neulich schon angeführte Wort des Ebräerbriefes beziehen: „Gedenket an euere Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“

Psalm 18, 30–40; Lied 170, 1. 4.