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Sein und Zeit

ernst...“ Dafür könnte auch gesagt werden: „Wer wollte, der nähme...“ Es ist eine Aussage von unbestimmter Allgemeinheit und von hypothetischem Charakter: zum Ernstnehmen als einem persönlichen Verhalten gehört ein persönlicher Träger; aber es ist nicht als Tatsache behauptet und wird keiner bestimmten Person zugewiesen. Die Aussage „Man braucht das Wort gewöhnlich in diesem Sinn“, stellt eine Tatsache behauptend fest. Wiederum handelt es sich um ein persönliches Verhalten: um eine Reihe erfahrungsmäßig feststehender und noch zu erwartender Einzelfälle und einen unbestimmten Umkreis, der mit der eigentümlichen Gewißheit der allgemeinen Erfahrung mitbehauptet werden darf. Nicht selten bezeichnet der Sprechende sich selbst und den Angeredeten zugleich mit man; z.B.: Könnte man am Sonntag einen Spaziergang machen?“ Dabei kann eine gewisse Scheu vorliegen, das wir auszusprechen, das eigentlich gemeint ist, und damit einer noch nicht voll eingestandenen oder heimlich gehüteten Gemeinschaft Ausdruck zu geben; vielleicht liegt auch eine Schüchternheit vor, die vor sich selbst und vor dem Angeredeten den Anspruch verdecken möchte, der in der Frage liegt, das Gefühl des Fragenden, daß er weiter geht als es ihm eigentlich zukommt oder zugestanden wird. Damit rühren wir schon an etwas, was in dem Heideggerschen Man zu liegen scheint. Der Sprechende weiß sich unter einem allgemeinen Gesetz oder wenigstens unter einer Regel der Beurteilung stehend. Er hat eine Vorstellung von dem, was man darf und nicht darf. Und darin hat das Man einen allgemeinen Sinn: es bezeichnet einen unbestimmten Umkreis von Menschen, dem sich der Sprechende zugehörig weiß.

Zusammenfassend können wir sagen: Man bedeutet:

  1. eine bestimmte Gruppe oder einen unbestimmten Umkreis von Einzelnen, im äußersten Fall alle Menschen, von denen etwas als allgemeine Tatsache gilt oder die unter eine allgemeine Regel des Verhaltens gestellt sind;
  2. den Einzelnen, sofern er unter dem allgemeinen Gesetz steht oder sich als solchen weiß.

Ist es von daher zu verstehen, daß der Einzelne sich vor seinem eigenen Selbst in das Man flüchtet und seine Verantwortung darauf abwälzt? Halten wir uns an Beispiele, wie sie Heidegger selbst gibt: Das Man schreibt vor, was man gelesen haben muß. Es steht hier in doppeltem Sinn: für den, der vorschreibt, und für den, der von

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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/95&oldid=- (Version vom 31.7.2018)