Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/94

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Martin Heideggers Existentialphilosphie

mit andern und in überlieferten Formen ist, ehe das eigene und eigentliche Sein zum Durchbruch kommt — ein Gedanke, den schon Max Scheler nachdrücklich hervorgehoben hat. Werden aber die Seinsgründe dieser Tatsache genügend geklärt durch die Scheidung von Man-selbst und eigentlichem Selbst und der Bezeichnung beider als Existential oder Existenzform?

Was wir unter Existential verstehen sollen, ist wiederholt ausgesprochen: das, was zur Existenz als solcher gehört. Und unter Existenz haben wir das Sein eines Seienden zu denken, dem es in seinem Sein um sein Sein geht, d.h. das menschliche Sein in seiner von anderen Seinsweisen unterschiedenen Eigentümlichkeit. Dagegen ist der Ausdruck Form ganz im Unklaren gelassen. Und wir wissen aus den Untersuchungen dieses Buches, wie notwendig er der Klärung bedarf. So können wir aus dem Wort Existenzform keinen Aufschluß über den Sinn und das wechselseitige Verhältnis der beiden Selbst gewinnen. Daß zur Existenz ein Wer oder Selbst gehört, ist wohl einleuchtend. Aber was zeichnet dieses Existential gegenüber andern (wie z.B. In-der-Welt-sein oder Verstehen) aus? Und wiederum: in welchem Verhältnis stehen Man-Selbst und eigentliches Selbst seinsmäßig zu einander? Ist es nicht deutlich, daß in der Seinsverfassung des Menschen dem Selbst eine ganz ausgezeichnete Rolle zukommt, die es mit keinem anderen Existential teilt? Und hat sich nicht Heidegger die notwendige Klärung dieser ausgezeichneten Rolle von vornherein unmöglich gemacht, indem er es ablehnte, von Ich oder Person zu sprechen, statt den möglichen Bedeutungen dieser Worte nachzugehen? Im Hinblick auf die früher erarbeitete Sinnesklärung dürfen wir es wohl wagen zu behaupten: Was Heidegger mit dem Selbst wiedergeben will, ist das Personsein des Menschen. Und die Auszeichnung des Personsein vor allem andern, was zum Sein des Menschen gehört, ist es, daß die Person als solche Träger aller andern Existentialien ist.

Können eigentliches Selbst und Man beide in vollem Sinn als Person in Anspruch genommen werden? Mir scheint, daß man das Gerede zu ernst nähme, wenn man dem Man diese Ehre erweisen wollte. Um der Sache auf den Grund zu gehen, muß etwas näher zugesehen werden, was das Man eigentlich meint.

In der gewöhnlichen Redeweise setzt man das Man oft in dem Sinn, in dem ich es eben brauchte: „Man nähme das Gerede zu

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/94&oldid=- (Version vom 31.7.2018)