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Martin Heideggers Existentialphilosphie

läßt, ist vielleicht der beste Beweis für die Trennung von Wesen und Dasein im Menschen. Daß Heidegger von dieser Trennung, obwohl er sie leugnet, doch nicht loskommt, zeigt die Tatsache, daß er beständig vom Sein des Daseins spricht: was doch keinen Sinn hätte, wenn mit Dasein nichts anderes gemeint wäre als das menschliche Sein. Mitunter wird auch von etwas gesprochen, was wesenhaft zum Dasein gehört. Und wenn beim In-der-Welt-sein, das als zum Dasein gehörig herausgestellt wird, das Wer nicht nur von der Welt, sondern auch vom In-sein geschieden wird, so kommt darin zum Ausdruck, daß der Name Dasein für Verschiedenes gebraucht wird, was innerlich zusammengehört, wovon eines nicht ohne das andere sein kann, was aber doch nicht dasselbe ist. So dürfen wir sagen: Dasein bezeichnet bei Heidegger bald den Menschen, (es steht dann dafür oft Wer oder Selbst), bald das menschliche Sein (in diesen Fällen drängt sich dafür meist der Ausdruck Sein des Daseins auf). Dieses Sein in seiner Unterschiedenheit von anderen Seinsweisen wird Existenz genannt. Denken wir an den formalen Aufbau des Seienden, wie er sich in unseren Untersuchungen herausgestellt hat — „Etwas, was ist“ — so entspricht dem Etwas das Wer oder Selbst, das Was ist mit Leib und Seele hinausbefördert, das Sein kommt in der Existenz zur Geltung. Streckenweise beschäftigt sich die Analyse mit dem Selbst, aber vorzugsweise ist sie dem Sein gewidmet[1].


II. Ist die Analyse des Daseins getreu?

Es ist nirgends ausdrücklich ausgesprochen, darf aber wohl als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß die durchgeführte Analyse kaum Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Die Grundbestimmungen des menschlichen Seins — z.B. Befindlichkeit, Geworfenheit


  1. Heidegger selbst wird die hier ausgesprochene Unterscheidung nicht gelten lassen. In seinem Kant-Buch sucht er zu zeigen, daß das Ich nichts anderes sei als die ursprüngliche Zeit. (Vgl. im Folgenden S. 119.) Es wird auch dem Ich denke gleichgesetzt. Darin kommt zum Ausdruck, daß zwischen dem reinen Ich und seinem Sein (oder Leben) nicht mehr zu scheiden sei. Aber damit ist meines Erachtens der eigentlichste Sinn des Ich verkannt, und Heideggers eigene Ausdrucksweise steht mit seiner Auffassung im Widerspruch.
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/92&oldid=- (Version vom 31.7.2018)