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Martin Heideggers Existentialphilosphie
II. Dasein und Zeitlichkeit

Die vorbereitende Untersuchung des Daseins ist abgeschlossen. Sie soll dazu dienen, den Sinn von Sein zu erschließen. Wenn sie dazu ausreichend sein sollte, müßte sie das Dasein in seiner Ganzheit und Eigentlichkeit erfaßt haben. Rückblickend wird die Frage gestellt, ob das mit der Bestimmung der Existenz des Daseins als Sorge schon geleistet sei. Es wird festgestellt, daß noch Wesentliches fehlt. Wenn es dem Dasein um sein Seinkönnen geht, so gehört offenbar dazu, daß es etwas jeweils noch nicht ist. Damit es als Ganzes gefaßt werden könnte, müßte auch sein Ende, der Tod, gefaßt sein, was nur im Sein zum Tode möglich ist. Um ferner die Eigentlichkeit des Daseins aufzuweisen, müßte gezeigt werden, wie sie sich selbst bezeugt, und das geschieht im Gewissen. Erst wenn sie das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins aufweist, ist die Analytik des urspünglichen Seins des Daseins versichert; und das ist nur möglich, wenn die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des Daseins herangezogen wird. Tod, Gewissen, Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des Daseins sind also die Gegenstände der folgenden Untersuchungen.

Die Eigentümlichkeit der Sorge als Sein des Daseins, worin es sich selbst vorweg ist und wonach immer noch etwas von seinem Sein aussteht, scheint ein Umfassen des Daseins in seiner Ganzheit auszuschließen. Es muß also gezeigt werden, daß der Tod erfaßbar und damit das Dasein als Ganzes erfaßbar ist.

Die Erfahrung des Todes anderer ist kein eigentliches Erfahren des Todes. Wir erfahren ihr Nicht-mehr-in-der-Welt-sein, einen Übergang vom Dasein zu etwas, was dem bloßen Vorhandensein nahekommt, aber doch nicht damit zusammenfällt, denn es bleibt kein bloßes Körperding übrig, auch kein bloßes Unlebendiges, sondern es ist auch von uns aus Mit-sein und Fürsorge für den Verstorbenen möglich. Und das Aufhören ist nur ein Aufhören für uns; es wird nicht vom Sterbenden aus erfaßt, wir erfahren nicht das Sterben des anderen. Während beim In-der-Welt-sein im Sinn des Besorgens weitgehend Vertretung des einen durch den andern möglich ist, kann das Sterben keiner dein anderen abnehmen. Als Enden des Daseins ist es selbst ein Existential, und wenn überhaupt, kann es nur als meines erfahrbar sein, nicht von anderen her.

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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)