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Sein und Zeit

Sinn, daß nicht nur das Dasein als zeitlich zu verstehen, sondern das Sein als solches „aus der Zeit begriffen werden“ sollte[1]. Es scheint, daß dieser Abschnitt mit den beiden vorausgehenden zusammen ausgearbeitet wurde (es wird öfters mit Angabe der Paragraphen darauf verwiesen); aber er ist nicht veröffentlicht worden. Ebenso ist der ganze zweite Teil – eine mit dem Hinweis auf die Geschichtlichkeit des Daseins und seines Seins Verständnisses als notwendig geforderte „Destruktion der Geschichte der Ontotogie“ (Kant - Descartes - Aristoteles) nur angekündigt[2].


I. Die vorbereitende Analyse des Daseins

Die vorbereitende Untersuchung bezeichnet es als zum Sein des Daseins gehörig, daß es je meines ist (d.h. schlechthin einmalig, nicht ein allgemeines); daß es sich zu sich selbst verhält und daß dieses sein Sein oder seine Existenz sein Wesen ist. Was zum Aufbau dieses Seins gehört, wird als Existential bezeichnet. Die Existentialien entsprechen den Kategorien des Vorhandenen. Das Dasein ist aber kein Vorhandenes, kein Was, sondern ein Wer. Es hat keine Möglichkeiten als Eigenschaften, sondern ist seine Möglichkeiten. Sein eigentliches Sein ist sein Sich-zu-eigen-sein. Die Ausdrücke Ich, Subjekt, Seele, Person, ebenso Mensch und Leben werden vermieden, weil sie entweder eine Verdinglichung des Daseins bedeuteten – es wird als der Fehler der antiken Ontologie und der christlichen Dogmatik bezeichnet, daß sie das Dasein unter die Kategorien des Vorhandenen rückten – oder es unklar ließen, was für ein nicht-dingliches Sein sie meinten.

Das Dasein wird zunächst betrachtet, wie es alltäglich ist. Es gehört wesentlich dazu das In-der-Welt-sein, daran wird Verschiedenes zur Abhebung gebracht: das In-der-Welt, das Wer, das in der Welt ist, und das In-sein. Unter Welt ist dabei nicht das All der vorhandenen


  1. Sein und Zeit, Vorwort S. 1.
  2. Vgl. a.a.O. S. 39 f. Heideggers späteres Werk Kant und das Problem der Metaphysik, Bonn 1929, erwuchs, wie er sagt, „im Zusammenhang einer ersten Ausarbeitung des zweiten Teils von Sein und Zeit“. Weil dort „auf eine fortschreitende Auslegung der Kritik der reinen Vernunft verzichtet“ wurde, sollte das Kant-Buch eine „vorbereitende Ergänzung liefern“. (Kant-Buch, S. VII).
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)