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Darstellung Edith Steins

daß im Kreise der Menschen, die ihm wissenschaftlich und menschlich nahestanden, eine starke Bewegung zur Kirche hin einsetzte – dann wird man doch nicht leicht ein bloßes Nebeneinander annehmen, sondern einen tiefen inneren Zusammenhang vermuten dürfen.

Besondere Erwähnung verdient hier das schon öfter genannte Werk des Münchener Phänomenologen Pfänder: Die Seele des Menschen. Versuch einer verstehenden Psychologie[1], dessen Auffassung von der Seele weitgehend mit der unseren übereinstimmt. Von einer Beschreibung der seelischen Regungen ausgehend, sucht Pfänder das Verständnis des seelischen Lebens durch Aufdeckung der es beherrschenden Grundtriebe zu erschließen. Diese Grundtriebe führt er auf einen Urtrieb zurück: den Trieb der Seele nach Selbstauszeugung, der im Wesen der Seele begründet ist. Er sieht in der Seele ein Lebewesen, das sich aus einem Keim zur Vollgestalt auszeugen muß. Es gehört zum eigentümlichen Wesen der Menschenseele, daß zu ihrer Auszeugung freie persönliche Tätigkeit nötig ist. Sie ist aber „wesentlich Geschöpf und nicht der Schöpfer ihrer selbst. Sie erzeugt nicht sich selbst sondern sie kann sich selbst nur auszeugen. Im tiefsten Punkt ihrer selbst ist sie nach rückwärts verbunden mit dem dauernd schöpferischen Grund ihrer selbst. Sie kann sich selbst daher nur voll auszeugen, indem sie dauernd in Kontakt bleibt mit dem dauernd schöpferischen Grund“[2]. Das Wesen der Seele wird als Schlüssel zum Verständnis ihres Lebens angesehen. Eine entschiedenere Absage an die Psychologie ohne Seele ist kaum denkbar.

Pfänders Werk über die Seele ist sichtlich der Abschluß einer langen Lebensarbeit und das Ergebnis eines ernsten Ringens mit den letzten Fragen. Darum berühren einige Unklarheiten an entscheidenden Stellen geradezu schmerzlich. Das Verhältnis von Seele und Leib bleibt ganz im Dunkeln. Meist wird so gesprochen, als handelte es sich um zwei miteinander vereinte Lebewesen; nur an einer Stelle kommt zum Ausdruck, daß es unentschieden bleiben solle, ob Leibkeim und Seelenkeim getrennte Keime seien oder ob im Grunde nur ein Keim vorhanden sei[3]. Der Geistbegriff wird als ungeklärt ausgeschaltet und darum gar kein Versuch gemacht, das Verhältnis von Seele und Geist zu ergründen. Umso erstaunlicher mutet die


  1. Halle a.S. 1933.
  2. Seelenburg, S. 226.
  3. a.a.O. S. 340.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/65&oldid=- (Version vom 31.7.2018)