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Darstellung Edith Steins

„Alles, was der Herr zur Förderung und Belehrung der Seele hier tut, geschieht mit einer solchen Ruhe, daß es mich an den Bau des salomonischen Tempels erinnert, wo kein Lärm zu hören war[1] … Da bedarf es keiner Tätigkeit, keines Suchens des Verstandes; denn der Herr, der ihn erschaffen, will ihn hier in Ruhe haben, und nur durch eine kleine Ritze darf er sehen, was da vorgeht“[2].

Die Verzückungen hören auf dieser Stufe fast ganz auf. Das läßt sich vielleicht aus dem verstehen, was die Heilige als den Zweck der ganzen Gnadenführung ansieht. Das ist nicht etwa nur die „Ergötzung der Seelen“. Vielmehr sollen alle Gnaden „zur Stärkung unserer Schwachheit dienen, damit wir dem Herrn durch Ertragung vieler Leiden nachfolgen“[3] und rastlos für das Reich Gottes wirken. „Dahin zielt das innerliche Gebet und dazu dient auch die geistige Vermählung, daß unaufhörlich Werke, lauter Werke daraus hervorgehen …“[4]


Das Reich der Seele und der Weg, den sie selbst von den Ringmauern bis zum Mittelpunkt zurücklegt, ist möglichst mit den eigenen Worten unserer heiligen Mutter dargestellt worden, weil man schwerlich bessere finden kann.

Es soll jetzt nur noch hervorgehoben werden, was dieses Bild der Seele mit dem früher gezeichneten gemeinsam hat und was es davon unterscheidet. Gemeinsam ist vor allem die Auffassung der Seele als eines weitausgedehnten Reiches, in dessen Besitz der Eigentümer erst gelangen muß, weil es dem Menschen von Natur aus (allerdings dürfen wir wohl sagen: von der gefallenen Natur aus) eigen ist, sich an die Außenwelt zu verlieren. Dabei ist zu scheiden zwischen der sachlichen Hingabe, etwa des Kindes oder des Künstlers, die bis zur Selbstvergessenheit geht, aber zur gegebenen Zeit eine ebenso sachliche Hinwendung ins eigene Innere nicht ausschließt, und der Verstrickung in die Dinge der Welt, die der sündhaften Begehrlichkeit entspringt und die Einkehr hemmt oder zur Quelle einer falschen Beschäftigung mit sich selbst werden kann.

Das führt bereits auf den Hauptunterschied der beiden Darstellungen, der in der Verschiedenheit der leitenden Absichten begründet


  1. 3 Kg. 6, 7.
  2. Seelenburg, S. 289.
  3. a.a.O. S. 296.
  4. a.a.O. S. 297.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/61&oldid=- (Version vom 31.7.2018)