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Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie

bedeutenden Forscher phänomenologischer Richtung beiseite zu lassen). So stehe ich vor der eigentlich unmöglichen Aufgabe, die drei verschiedenen Richtungen, die mit diesem Namen bezeichnet sind, in knappem Rahmen zu kennzeichnen. Ich will es mit dem Ausweg versuchen, daß ich Husserls Phänomenologie in einigen Grundzügen skizziere und angebe, an welchen Punkten die beiden andern Philosophen sich von ihm unterscheiden.


b) Husserls Phänomenologie

Ich habe beständig von phänomenologischer Methode gesprochen. Darin kommt zum Ausdruck, daß es Husserl von Anfang an nicht darum zu tun war, ein philosophisches System aufzustellen, wie es die meisten seiner großen Vorgänger getan haben, d.h. einen geschlossenen Gedankenbau, in dem für jede philosophische Frage eine Antwort zu finden ist. Er hat seine wissenschaftliche Laufbahn gar nicht als Philosoph, sondern als Mathematiker begonnen. Weil er aber ein geborener Philosoph war, konnte er nicht wie der „normale“ Mathematiker mit den Begriffen und Methoden der Mathematik einfach arbeiten, sondern stieß darin auf Schwierigkeiten und Unklarheiten. Die innere Nötigung, sich mit diesen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, machte ihn zum Philosophen, und so begann seine philosophische Laufbahn mit einer Philosophie der Mathematik.

Bei diesen Studien machte er die Entdeckung, daß zwischen formaler Mathematik und formaler Logik sehr nahe Zusammenhänge bestehen. So wurde er zur Beschäftigung mit logischen Fragen geführt. Dabei erlebte er die Überraschung, daß dieses Gebiet, das seit den bewundernswerten Leistungen des Aristoteles für so gut wie abgeschlossen galt, in seinem ganzen Charakter noch umstritten und ungeklärt war und eine Fülle ungeklärter Einzelprobleme barg.

In dem I. Band seiner Logischen Untersuchungen hielt er Abrechnung mit der damals herrschenden psychologistischen Auffassung der Logik und charakterisierte die Logik mit überzeugender Kraft als ein Gebiet objektiv bestehender Wahrheiten, das formale Grundgerüst aller objektiven Wahrheit und Wissenschaft.

Im II. Band wandte er sich der Betrachtung einiger grundlegender Einzelprobleme zu. Die Methode zur Behandlung dieser Probleme

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Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)