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Die Seelenburg

man die göttlichen Ansprachen oftmals, ohne zuvor an das gedacht zu haben, was sie besagen, d.h. ganz unerwartet, und zuweilen selbst dann, wenn man gerade in der Unterhaltung mit jemandem begriffen ist“[1]. „Drittens ist es, wenn Gott zur Seele redet, ebenso, wie wenn jemand den Worten eines anderen nur zuhörte; kommt aber die Ansprache von der Einbildungskraft, dann ist es, wie wenn jemand das, was er von einem anderen gern hören möchte, allmählich selbst zusammensetzte. Viertens haben die göttlichen Worte etwas ganz Verschiedenes von anderen Worten; ein einziges enthält viel mehr, als unser Verstand so schnell erfinden könnte. Fünftens wird oftmals der Seele zugleich mit dem, was ihr Gott durch Worte zu verstehen gibt, auf eine Weise, die ich nicht erklären kann, noch viel mehr als diese Worte sagen, ohne Worte geoffenbart“[2]. Auf solche innere Ansprachen, um die es sich hier handelt, muß die Seele horchen. Denn da bringt der Geist selbst, welcher spricht, alle anderen Gedanken zum Schweigen und nötigt die Seele, das anzuhören, was er zu ihr spricht“[3].

Manchmal wird die Seele von einem Gotteswort so betroffen, daß sie in Verzückung gerät: „Es scheint, als ob der Herr, von Mitleid wegen der Leiden, die er sie so lange Zeit in ihrem Verlangen nach ihm erleiden sah, gerührt, aus ihrem Innern den schon besprochenen Funken auflodern ließe. Dadurch ganz verzehrt, geht sie dann, gleich dem Vogel Phönix, verjüngt aus der Glut hervor, und es ist fromm zu glauben, daß ihr ihre Sünden vergeben sind, vorausgesetzt, daß ihr die nötige Zubereitung nicht fehlte und daß sie die von der Kirche verordneten Mittel gebraucht hatte. Nachdem sie in solcher Weise rein geworden, vereinigt sie der Herr mit sich, und niemand außer ihnen beiden weiß davon, ja die Seele selbst erkennt es nicht in einer Weise, daß sie es nachher erklären könnte, obwohl sie nicht ohne innere Empfindung dabei ist…“[4]

Damit ist eine hohe Erleuchtung verbunden, sodaß „die Seele nie in solcher Weise wie hier zu göttlichen Dingen aufgeweckt ist und nie eines solchen Lichtes und einer solchen Erkenntnis der göttlichen Majestät sich erfreut“. Und dies, trotzdem „die Vermögen der Seele und die Sinne so aufgehoben sind, daß man sagen kann, sie seien tot.


  1. a.a.O. S. 171.
  2. a.a.O. S. 172.
  3. a.a.O. S. 174.
  4. a.a.O. S. 177 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/54&oldid=- (Version vom 31.7.2018)