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Abschnitt V

bezeichnen. Der Ausdruck natürlich ist nicht ganz glücklich gewählt, weil ja schon diese Erkenntnis aus der Berührung mit dem Transzendenten stammt. Die übernatürliche Erkenntnis stellt nur eine andere und höhere Form des Eindringens in das transzendente Reich dar. Der Glaubensakt hat es mit einem unsichtbaren Gott zu tun. Aber Gott braucht nicht unsichtbar zu bleiben. Er hat es in der Hand, sich dem Gläubigen zu offenbaren und vernehmlich zu ihm zu sprechen, dem Gläubigen, denn der Glaube ist der Schlüssel zur Offenbarung und keinem Ungläubigen ist sie zugänglich. Man kann glauben, ohne Offenbarungen zu erlangen. Aber ohne Glauben bleiben die Offenbarungen stumm, man „schenkt ihnen keinen Glauben“. Es ist allerdings möglich, daß durch die Offenbarung, und mit ihrem Empfang, der Glaube geweckt wird (wie bei Paulus), darum ist er es doch, der die Offenbarung als solche erst kenntlich macht. In der Regel aber beschenkt der Herr damit die, die fest sind im Glauben, seine Propheten und Heiligen.

Offenbarungen können mannigfacher Art sein. Offenbarungen sind die Worte, die der Herr durch den Mund seiner Propheten spricht; Offenbarungen zunächst für sie und dann für die, zu denen sie sprechen, wenn sie „Ohren haben zu hören“. Vor allem, die Worte dessen, in dem „das Wort Fleisch ward“, und die Menschwerdung selbst. Die Offenbarungen verleihen anscheinend eine mittelbare Erkenntnis im Gegensatz zu der aus dem Glauben selbst geschöpften, die unmittelbar ist. Mittelbar nicht im Sinne des Schließens aus einer unmittelbaren, sondern im Sinne einer Mitteilung. Der Grund ihrer Gewißheit ist der Glaube an die Wahrhaftigkeit dessen, der die Mitteilung macht. Allerdings braucht es nicht bei einer gewöhnlichen Mitteilung zu bleiben. Das Mitgeteilte als solches ist uneinsichtig. Ich vernehme es und glaube es, sofern ich den Mitteilenden für glaubwürdig halte. Es ist möglich, daß mir das Mitgeteilte auch einleuchtet. Das ist aber (im Verkehr irdischer Personen) etwas von dem Mitteilenden letztlich Unabhängiges, eine neu einsetzende unmittelbare Erkenntnis, die der Mitteilung nachfolgt. Auch die Offenbarung kann einsichtig bleiben und es kann nur gefordert sein, daß man sich schlicht daran hält. So geht es der großen Masse der Gläubigen, die nur „wie in einem Spiegel in einem dunklen Wort“ erkennen, nicht aber „von Angesicht zu Angesicht“. Und auch für den Propheten bleibt vielfach die Offenbarung, die

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/193&oldid=- (Version vom 31.7.2018)