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Die ontische Struktur der Person...

Aber wenn wir in die erkennende Haltung übergehen, können wir aus dem, wie uns im Glauben zumute war, entnehmen, was er für ein Gegenstand ist, an den wir uns halten.

Um das herauszufinden, müssen wir uns dieses Zumutesein noch etwas näher ansehen. Wir sprachen davon, daß im religiösen Grundakt Erkenntnis, Liebe und Tat vereinigt seien. Den Ausdruck Erkenntnis mußten wir als streng genommen nicht korrekt zurücknehmen. Wir sagten dafür Erfassen und kennzeichneten es als ein Berührtwerden von der Hand Gottes, kraft dessen das, was uns berührt, gegenwärtig vor uns steht. Das Berührtwerden ist etwas, dem wir uns in keiner Weise entziehen können, für eine Mitwirkung unserer Freiheit ist hier kein Raum. So steht Gott vor uns als unentrinnbare Macht, als starker und mächtiger Gott, Furcht gebührt ihm und unbedingter Gehorsam. Diesem ersten Erfassen nun gegenüber gibt es ein freies Verhalten. Ergreife ich die Hand, die mich anrührt, dann finde ich den absoluten Halt und die absolute Geborgenheit. Der allmächtige Gott steht nun als allgütiger Gott vor uns, als „unsere Zuversicht und unsere Burg“. Liebe zu ihm durchströmt uns und wir fühlen uns getragen von seiner Liebe. Gottes Hand fassen und halten, das ist die Tat, die den Glaubensakt mitkonstituiert. Wer das nicht tut, wer das Anklopfen überhört und unbeeinflußt davon sein irdisches Leben weiterlebt, in dem kommt der Glaubensakt nicht zur Entfaltung und der Gegenstand des Glaubens bleibt ihm verborgen.

Es ist noch etwas anderes möglich. Man kann das Anklopfen sehr wohl hören und doch nicht öffnen, man kann den geforderten Gehorsam verweigern. Dann hat man Gott wohl gegenwärtig, aber als etwas Bedrohliches, gegen das man sich trotzig auflehnt, als eine Fessel, die man abstreifen möchte. Man hält sich nicht an ihm und ist nicht geborgen, man liebt nicht und fühlt sich nicht geliebt.

Die Erkenntnis Gottes, die aus der fides zu gewinnen ist, kann nur der erlangen, der im Glauben lebt oder ihn doch in seiner vollen Konkretion innerlich nachzuleben vermag. Wer den Glaubensakt nicht von innen her kennt, der kann auch keine Gotteserkenntnis gewinnen.

Die Erkenntnis, die aus dem Glauben zu schöpfen ist, die sachverhaltsmäßige Explikation dessen, was einem als Gegenstand des Glaubens schlicht gegenwärtig ist, können wir als natürliche Gotteserkenntnis

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/192&oldid=- (Version vom 31.7.2018)