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Die ontische Struktur der Person...

aber sie kommt aus einer gewissen skeptischen Geisteshaltung heraus, der die leere Möglichkeit des Anderssein immer gegenwärtig ist. Ebensowenig wie die Gegengründe sind der opinio allerdings auch die Gründe, die für sie sprechen, präsent.

Viertens: Das hat sie gemein mit der δόξα, dem blinden Glauben, der ebenfalls dem Wissen gegenübersteht. Hier spielen aber Gründe und Gegengründe auch als leere Möglichkeiten keine Rolle, und damit steht es im Zusammenhang, daß der δόξα im Gegensatz zu dem Schwankenden der opinio eine innere Festigkeit eigen ist, die sie der Überzeugung an die Seite stellt. Man könnte sie geradezu mit zur Überzeugung rechnen, müßte aber dann innerhalb der Überzeugung die blinde von der sehenden unterscheiden.

Es gibt unter diesen verschiedenen Bedeutungen des Glaubens keine, die nicht mit dem religiösen verwechselt würde. Auch hier handelt es sich nicht um einen einfachen Tatbestand, und das erschwert die Abscheidung. Wir suchen uns zunächst über den Grundakt klarzuwerden. Wir nennen ihn fides. Wir halten als Erstes fest, daß es ein eigener Akt ist, kein bloßer Aktcharakter, wie der belief. Von der Überzeugung und ihren Modifikationen wiederum unterscheidet er sich dadurch, daß sein Korrelat kein Sachverhalt ist, sondern ein primärer Gegenstand, und er selbst, was damit zusammenhängt, kein fundierter, sondern ein schlichter Akt. Und von allem, was bisher erörtert wurde, hebt er sich davon ab, daß er kein rein theoretischer Akt ist. Es wird nicht bloß etwas erfaßt und für wirklich gehalten – in einer Fernstellung, als ginge es mich nichts an, wie es in der theoretischen Einstellung ist–, sondern das, was ich erfasse, dringt, indem ich es erfasse, in mich ein; es ergreift mich in meinem personalen Zentrum, und ich halte mich daran fest. Das indem ist im strengsten Sinne zu nehmen. Es gibt hier kein erst und dann. Weder zeitlich noch sachlich. Was wir nacheinander nennen und analysierend herausheben, das ist in einem unteilbaren Akte vereint, kein Moment früher als das andere, keins ohne die andern möglich. Je tiefer ich ergriffen werde, desto fester klammere ich mich an, desto mehr erfasse ich auch. Und all das kann auch umgekehrt werden. Alles, was sonst getrennt, eventuell auseinander motiviert auftritt, ist hier zu einem Akt verschmolzen: Erkenntnis, Liebe, Tat.

Erkenntnis ist allerdings nicht in dem Sinne zu nehmen, wie wir

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Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/188&oldid=- (Version vom 31.7.2018)