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Abschnitt V

der unmittelbaren, die wir Einsicht, und der mittelbaren, die wir Schließen nennen, wohnt das belief-Moment inne, und ebenso dem Wissen, das aus der Erkenntnis resultieren, ihr in gewissen Fällen aber auch vorausgehen kann.

Außer dem Erkennen und Wissen gibt es aber den Sachverhalten gegenüber noch eine andere intellektuelle Haltung, eine Stellungnahme, in der sich das belief-Moment so zu sagen losgelöst und selbständig gemacht hat: das ist die Überzeugung. Ich bin überzeugt davon, daß A b ist. Das besagt etwas ganz anderes, als wenn ich das B-sein von A erkenne. Im Erkennen ruht der Blick auf A und seinem B-sein. In der Überzeugung, und ebenso in der darauf gestützten Behauptung, ist es das Bestehen des Sachverhalts, das fixiert wird. In allem Operieren mit Sachverhalten, im Behaupten, im Schließen, im Beweisen, verabsolutiert sich das formale Seinsmoment, und dem entspricht auf Subjektseite das formale belief-Moment, die Überzeugung. Sie ist nur Sachverhalten gegenüber, genauer gesprochen: ihrem Bestehen gegenüber, möglich. Einem primären Gegenstand gegenüber nicht. Denn von einem realen oder idealen Gegenstande seine Existenz loslösen und sie für sich ins Auge fassen, das heißt nichts anderes als ihn sachverhaltsmäßig explizieren. Der objektive Niederschlag der Überzeugung ist der Satz, in dem das Bestehen des Sachverhalts behauptet wird. Dem Bestehen des Sachverhalts entspricht die Wahrheit des Satzes, und die Überzeugung vom Bestehen des Sachverhalts ist implicite Überzeugung von der Wahrheit des Satzes.

Drittens sind dem belief-Moment eine Reihe anderer Momente an die Seite zu stellen, und ganz entsprechend der Überzeugung eine Reihe anderer intellektueller Stellungnahmen: Vermutung, Zweifel, Frage etc. Unter diesen Modifikationen der Gewißheit und Überzeugung gibt es eine, die man wiederum als Glauben zu bezeichnen pflegt. „Ich glaube, daß etwas so und so ist, aber ich weiß es nicht“. Dieses Glauben, das man dem Wissen entgegenstellt, ist natürlich von belief und Überzeugung scharf unterschieden. Es ist in sich noch nicht eindeutig: man versteht einmal darunter etwas, der Vermutung Nahestehendes, wir wollen es opinio nennen; es kommt mir so vor, als ob A b wäre, es könnte aber schließlich auch anders sein. Bei der Vermutung sagt man das im Hinblick auf Gründe und Gegengründe. Bei der opinio spricht gar nichts dagegen,

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/187&oldid=- (Version vom 31.7.2018)