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Die ontische Struktur der Person...

Es gilt zunächst, den religiösen Glauben (fides) abzugrenzen von allem, was in außerreligiösem Sinne Glauben genannt wird. Das deutsche Wort ist überaus vieldeutig. Man bezeichnet damit erstens das Für-wahr-nehmen oder das Für-wirklich-nehmen eines Seienden, die Gewißheit, die der Erfassung eines realiter oder idealiter Existierenden und ebenso dem Wissen darum innewohnt. Der belief[1] kann geradezu als Korrelat der Existenz bezeichnet werden. Wie Realität nicht für sich bestehen kann, sondern nur als Seinsform eines sich materialiter explizierenden Gehalts und ebenso jede andere Art des Seins, so haftet dem Bewußthaben eines realiter oder idealiter Existierenden ein speziell auf eben die Existenz bezogenes Moment an, das gleichfalls nicht für sich bestehen kann, sondern nur an gewissen Akten als ein sie konstituierendes Moment. Wir bezeichnen es als Gewißheit oder – mit dem eingeführten terminus – als belief. Die Akte, an denen es auftreten kann und zu deren Aufbau es konstitutiv gehört, sind mannigfacher Art. Sie differenzieren sich einmal nach der Art der Gegenstände, in und mit denen die Existenz zur Erfassung kommt: ob es reale oder ideale äußere oder innere sind usw. Ferner danach, ob die Gegenstände mit ihrer Existenz ursprünglich zur Gegebenheit kommen oder nicht. Das belief-Moment haftet der ursprünglichen Erfassung eines Gegenstandes ebenso an wie dem Im-Bewußtsein-haben, das sich darauf aufbaut, also etwa der Wahrnehmung eines Realen ebenso wie der Erinnerung daran, der Erkenntnis eines Sachverhalts wie dem Wissen darum.

Zweitens, indem wir die Sachverhalte als ein spezielles Gegenstandsgebiet heranziehen, werden wir auf Glauben in einem zweiten Sinn geführt. Wir haben das Recht, die Sachverhalte als Gegenstände im allerweitesten formalen Sinn des Wortes zu nehmen, d.h. als etwas, was Korrelat eines Aktes oder, logisch gefaßt, Subjekt einer Prädikation sein kann. Andererseits sind sie Gegenstände aus zweiter Hand, sie setzen Gegenstände in einem engeren und doch ebenfalls noch ganz formalen Sinne voraus[2]. Die primären, die eigentlichen Gegenstände, sind Korrelat eines schlichten Aktes und setzen nichts voraus. Die Sachverhalte sind Korrelate eines Aktes, der andere Akte, und schließlich einen schlichten, voraussetzt. Der Erkenntnis des Sachverhalts,


  1. Dies wollen wir als terminus für den Glauben in diesem ersten Sinne festhalten.
  2. Daß A b ist, ist der Sachverhalt, der den Gegenstand A voraussetzt.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/186&oldid=- (Version vom 31.7.2018)