Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/181

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Abschnitt IV

wirkungslos: sie nimmt den Herrn nicht in sich auf und kann darum nicht geheiligt werden. Dagegen müßten sich seelische Heilwirkungen auch zeigen, wenn ein Mensch, der nach dem Heil verlangt, das Abendmahl empfängt, ohne an seine sakramentale Wirkung zu glauben oder ohne darum zu wissen. Sie müßte sich zeigen als eine Lockerung der Bande, die die Seele am Aufschwung hindern. Der Aufschwung selbst, wofern er eintritt, wäre nicht mehr sakramentale, sondern innere Gnadenwirkung. Auch dort, wo das Sakrament gläubig entgegengenommen wird und die Seele sich unmittelbar erhoben fühlt, liegt eine doppelte Gnadenwirkung vor.

Die Wirkung des Sakraments ist dabei nicht so gedacht, als müßte, wie bei der wunderbaren Heilung, die ursprüngliche materielle Konstitution wiederhergestellt werden, also etwa jede Krankheit beseitigt. Was hergestellt werden soll, ist das ursprüngliche Verhältnis von Seele und Leib, der Leib soll an die ihm gebührende Stelle rücken, und das ist auch möglich, ohne daß er von seinen Gebrechen befreit wird.

Die Bedeutung der Sakramente ist hier natürlich nur von einer ganz speziellen Seite her beleuchtet, und es scheint, daß keineswegs auf alle Anwendung finden kann, was hier an einem Beispiel gezeigt wurde. Allgemein gefaßt dürfte man aber wohl sagen, daß die Sakramente durchweg an der psychophysischen Organisation des Menschen orientiert und von da aus zu verstehen sind. Vita spiritualis conformitatem aliquam habet ad vitam corporalem, sagt Thomas von Aquino, wobei aber unter vita corporalis das gesamte natürliche Menschenleben zu verstehen ist. Schon daß des Herren Wille sich im Wort verlautbarte und daß das Wort Fleisch wurde, ist nicht vom Geist her zu begreifen, sondern nur als Anpassung an die natürliche Beschaffenheit der Geschöpfe, denen er sich vernehmlich machen will. Die sinnliche Gegebenheit ist die der menschlichen Natur angemessene, und so kann auch das Geistige am leichtesten an ihn herankommen, wenn es in die Sichtbarkeit hinaustritt. Durch Wort und Zeichen wendet sich die Gnade mittels der Sinnlichkeit an den Geist des Menschen, um auf geistigem Wege in die Seele vorzudringen. Und so richtete sie sich auch mit ihren realen Wirkungen nach den Bedingungen seiner Organisation. Buße und Sündenvergebung erscheinen als ein so spiritueller Vorgang, daß für eine sakramentale Wirkung gar kein Raum zu sein scheint. Die Seele,

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/181&oldid=- (Version vom 31.7.2018)