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Abschnitt IV

gesteigert sein. Das ist eine rein von innen nach außen gehende Gnadenwirkung, und von eigener Aktivität ist nichts dabei als die Hingabe an die Gnade. Ja sie kann sich sogar vollziehen, wenn die Seele sich dagegen sträubt[1]. Dieser Widerstand ist allerdings nicht als Widerstand gegen die Gnade als solche, sondern nur gegen die spezielle Gnadenwirkung aufzufassen. Die immanente Zuwendung zum Reich des Lichts darf nicht fehlen.

Aber die Ablösung ist nicht die einzig mögliche Gnadenwirkung, die sich auf den Leib erstreckt. Er ist nicht bloß das Gefängnis der Seele, das sie bindet und fesselt und am Aufstieg hemmt. Das ist nur der verdorbene Leib, nicht aber der seinen ursprünglichen Sinn erfüllende. Er ist – auch in seiner Verderbtheit, aber um so reiner, je mehr er seinem ursprünglichen Sinn entspricht – der Spiegel der Seele, auf dem sich ihr ganzes inneres Leben abmalt, mittels dessen sie in das Reich der Sichtbarkeit eintritt. Je weniger die Seele sich ihm hingibt, desto mehr nimmt er ihre Gestalt an. Und mit ihr kann er selbst verklärt werden, das Licht, das sie erfüllt, kann durch ihn hindurch und aus ihm hervorstrahlen. Das ist eine Heiligung des Leibes von der Seele her.

Sollte nicht auch der umgekehrte Weg möglich sein? Eine Heiligung, die unmittelbar am Leibe ansetzt und von dort aus an die Seele herankommt? Wir sahen, daß der Leib in seiner ursprünglichen Verfassung das materielle Fundament ist, von dem das psychische Leben getragen wird und das in dieser ursprünglichen Verfassung trägt, ohne zu binden. Nur wenn er verdorben ist, von Natur aus oder im Verlauf des irdischen Lebens, bindet er. Was verdorben ist, das kann die Gnade heilen: den Leib wie die Seele. Wie die Seele in der Berührung mit dem Licht erfüllt wird und alles aus ihr schwindet, was dem Licht widerstrebt, so macht die äußere Berührung mit geheiligten Stoffen die verdorbenen Stoffe heil. Darum ist das Heilige immer zugleich Arzt. Kein natürlicher Arzt, der die natürliche Zusammensetzung der Stoffe kennt und die Naturgesetze, nach denen sie ineinander überzuführen sind, und in diesen Grenzen und ferner beschränkt durch das, was ihm jeweils an Naturgegebenem zur Verfügung steht, Mittel hat, um die ursprüngliche Konstitution wiederherzustellen. Sondern als einer, der


  1. Vgl. die Schilderungen der hl. Teresia in ihrer Lebensbeschreibung.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/179&oldid=- (Version vom 31.7.2018)