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Die ontische Struktur der Person...

Fehlgriffe oder Unterlassungen ein Abirren von dem vorgezeichneten Wege verschulden. Die ursprüngliche materielle Konstitution des Leibes muß durch Zufuhr von Aufbaustoffen erhalten werden, wenn seine organischen Funktionen sowie die spezifisch leiblichen – Kraftstation, äußere Gestaltung und handliches Instrument des inneren Lebens zu sein – intakt bleiben sollen. Das Tier erfüllt in blindem Triebe das Gesetz, unter dem es steht. Vom Instinkt geleitet findet es, wessen es bedarf. Wo Störungen auftreten, sind sie Folge von natürlichen Mißbildungen oder äußerer Durchbrechungen des normalen Lebensganges, niemals eigene Schuld. Der Mensch, dem sein Leib in die Hand gegeben ist, trägt auch die Verantwortung dafür. Wird der Körper vernachlässigt oder falsch behandelt, so zeigen sich Störungen der leiblichen Funktionen, und es besteht zum mindesten die Gefahr, daß in der Folge auch das innere Leben gestört wird. Denn – von anderen Faktoren abgesehen – gilt der Satz, daß die Person um so freier von ihrem Leibe ist, je normaler er funktioniert. Er drängt sich immer erst in den Vordergrund, wenn irgendetwas an ihm nicht in Ordnung ist. Dann besteht die Gefahr, daß er das Subjekt in sich hineinzieht, dann lenkt er mindestens die Aufmerksamkeit auf sich, die psychischen Kräfte lassen nach, und er ist nicht mehr williges Instrument der äußeren Aktionen.

Es würde genügen, sich diese natürliche Freiheit vom Leibe und die ihr genau entsprechende Herrschaft über ihn durch hinreichende Sorge für seine Bedürfnisse zu wahren, wenn sein normales Funktionieren ganz und allein in die Hand der Person gelegt wäre, der er gehört. Das ist faktisch nicht der Fall. Es gibt beim Menschen wie beim Tier natürliche Mißbildungen und äußerlich bedingte Schädigungen der Konstitution. Und es kann sein, daß es ihm an den Aufbaustoffen fehlt, deren sein Leib bedarf. In allen diesen Fällen ist er darauf angewiesen, mit einem in seinen Funktionen gestörten, minderwertigen Leibe auszukommen. Wenn er nicht von ihm tyrannisiert werden oder in ihm versinken will, dann muß er nach einer andern als der natürlichen Freiheit vom Leibe und Herrschaft über ihn streben. Ein Weg dazu ist die Askese. Ihr Ziel ist es, den Leib völlig in die Hand zu bekommen, alles was in ihm geschieht, unter die Herrschaft des Willens zu bringen. Es muß auf der einen Seite die größtmögliche Sensibilität erreicht werden, die alles normalerweise unbemerkt und unwillkürlich Vorsichgehende spürbar und

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Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/176&oldid=- (Version vom 31.7.2018)