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Abschnitt IV

Frische, die wir im gesamten Leibe spüren (eine Gemeinempfindung nennen sie die Psychologen) und die uns von seinem Wohlbefinden Kunde gibt, greift auf das Psychische über und bedingt eine Steigerung des gesamten Innenlebens, wofern nicht anderes ihr im Wege steht. Mittels der Lebenskraft erscheint die Psyche recht eigentlich eingesenkt in die Leiblichkeit. Hier ist das Eingangstor für alle Einflüsse hinüber und herüber. Hier auch der Punkt, von dem aus die möglichen Wege zur Befreiung vom Leibe zu finden sind.

Zunächst erscheint es unsinnig, eine solche Befreiung anzustreben, wenn der Leib der Psyche zur Erneuerung ihrer Kräfte nötig ist. Aber einmal ist die Erneuerung der Kräfte nicht nur vom Leibe her möglich (was noch näher zu erörtern ist). Und ferner ist die Bindung an den Leib, wie sie im peripherischen Leben vorliegt, keineswegs gleichbedeutend mit einer rationellen Ausnützung seiner Kräfte im Dienste der Psyche. Im Gegenteil, je mehr Raum dem Leibe gegönnt wird, je tiefer das Subjekt in ihm versinkt und in dem Spüren seiner Zustände aufgeht, desto mehr Kräfte verbraucht er für sich selbst und die Psyche schrumpft ein zu einem Annex des Leibes (ein Spezialfall, aus dem der Epiphänomenalismus fälschlich ein Prinzip gemacht hat). Der Leib wird aber dann nicht etwa mehr er selbst, wenn es ihm gestattet wird, so zu wuchern, sondern er fällt zugleich von sich selbst ab. Er wird mehr und mehr amorphe Masse. Denn Gestalt hat er nur, soweit er von innen gestaltet und getragen wird.

Wie weit die Kräfte des Leibes nach innen gelenkt werden, das hängt von dem Subjekt ab, aber nicht von ihm allein. Mitbestimmend ist die rein körperliche Konstitution. Nur gewisse Stoffe sind überhaupt tauglich, zum Aufbau eines Leibes zu dienen und als Leib von einem Inneren getragen und gestaltet zu werden. Innerhalb dieser allgemeinen materiellen Basis für psychophysische Entitäten gibt es nun mannigfache Unterschiede. Von der stofflichen Struktur, die ihre natürliche materielle Basis ist, hängt es ab, wie sich eine solche Entität zunächst rein organisch gliedert, und ferner, welche Kräfte sie für ein inneres Leben bereitzustellen vermag. Sie ist auf ein mehr oder minder weit- und tiefgehendes Innenleben angelegt.

Sache der Person ist es, was sie mit diesem natürlichen Fundament ihres Seins, dem sie in weitem Ausmaß frei gegenübersteht, anfängt. An verschiedenen Punkten kann ihre Aktivität ansetzen und durch

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/175&oldid=- (Version vom 31.7.2018)