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Die ontische Struktur der Person...

in geistigen Akten leben und doch an ihrer Peripherie die leiblichen Zustände spüren. Es ist nun zu konstatieren, daß die verschiedenen Schichten des Innenlebens, die peripheren und die zentralen, nicht reinlich getrennt nebeneinander bestehen, sondern daß es eine wechselseitige Beeinflussung gibt. Ein gedanklicher Prozeß und das Betroffenwerden von einem Schmerz können nicht nebeneinander sein, ohne daß der eine Spuren des andern auf zuweisen hätte (sie sind nur eventuell so geringfügig, daß sie sich der Betrachtung entziehen). Entweder lenkt der Schmerz den geistigen Blick auf sich und von dem gedanklichen Thema – ganz oder teilweise – ab. Oder er stört den geistigen Prozeß, indem er ihm die zu seiner Erhaltung nötigen Kräfte mehr oder minder entzieht. Was das für Kräfte sind, davon ist an anderer Stelle ausführlich die Rede gewesen[1].

Alles innere Leben wird gespeist aus einer Quelle, die wir als Lebenskraft bezeichneten. Alles was wir zunächst ohne nähere Begründung unter dem Titel Innerlichkeit zusammenfaßten und was sich bereits als sehr mannigfaltig erwies, ist eben durch die Gebundenheit an eine solche Quelle in sich geeint und nach außen abgegrenzt. Wir nennen eine solche in sich geschlossene Monade eine Psyche und unterscheiden von ihr die als das Innerste der gesamten Innerlichkeit charakterisierte Seele. Durch die Lebenskraft, die alles psychische Geschehen speist, steht alles, was im Innern vor sich geht, miteinander in Verbindung. Die Bedeutung des Leibes für die Psyche ist aber noch eine andere als die, daß die psychische Seite der leiblichen Zustände etwas von den psychischen Kräften absorbiert. Erst wenn wir die Psyche gefaßt haben, können wir begreifen, was die Einbettung des Innern in den Leib, das Verwachsensein damit für einen Sinn hat.

Die Lebenskraft verbraucht sich im psychischen Geschehen. Sie müßte fortschreitend – wenn auch nicht in gleichmäßigem Tempo – abnehmen, wenn sie nicht von irgendwoher Zufuhr erhielte und sich daraus erneuerte. Das Auf und Ab der Lebensgefühle, die uns über den jeweiligen Stand der Lebenskraft Aufschluß geben, bekundet uns, daß es neben dem Verbrauch einen Zustrom gibt. Und es gibt Phänomene, die uns auf den Leib als eine der Kraftstationen, aus denen die Psyche ihre Zufuhr bezieht, hinweisen. Die leibliche


  1. Psychische Kausalität.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/174&oldid=- (Version vom 31.7.2018)