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Die ontische Struktur der Person...
III

Bisher handelte es sich ausschließlich darum, die Mitwirkung der einzelnen zu erlösenden Menschen am Werke der Erlösung zu bestimmen. Die gewonnenen Einsichten können uns aber noch Weiteres verständlich machen; nämlich die Möglichkeit einer Mittlerschaft und die Formen, die dafür in Betracht kommen. Es besteht die Möglichkeit, daß die Gnade nicht unmittelbar an den Menschen herantritt, sondern den Durchgang durch endliche Personen wählt. Und es gibt in der Struktur der endlichen Person verschiedene Ansatzpunkte, die für die Mittlertätigkeit in Betracht kommen. Anders gewendet: ein Mensch kann auf verschiedene Weise dem Heil anderer Menschen dienen.

Der Mittler erscheint am auffallendsten als Instrument der göttlichen Gnade, wenn das Licht, das in ihm aufgegangen ist, aus ihm hervorstrahlt und andere auf den Weg des Heils führt. Die Werke der Liebe, die er – vom Geist erfüllt – vollbringt, seine ganze vom Geist bestimmte Lebenshaltung und Lebensführung lenken, ohne daß er es will, die Blicke auf sich. Seine Heiligkeit wird offenbar, freilich nur für die, deren Augen schon aufgetan sind, und lockt sie zur Nachfolge an. Und wer ihm nachfolgt, der unterwirft sich damit dem Geist des Lichts, auch wenn er noch nicht zu dessen personalem Urheber vorgedrungen ist. Auf dem Wege der Nachfolge selbst muß er dann schließlich auch zu Gott geführt werden, weil das Zentrale am Leben seines Vorbilds – das, woraus alles andere fließt – die stete Hinwendung zum Quell des Lichts ist.

Diese Form der Mittlerschaft vollzieht sich ohne jede Mitwirkung der Freiheit von Seiten des Mittlers. Sobald seine Freiheit im Spiel ist, kompliziert sich die Sachlage. Von vornherein werden wir sagen, daß der freien Mittlertätigkeit nach zwei Seiten hin absolute Grenzen gesetzt sind: durch die Freiheit des Menschen, dessen Heil in Frage steht, und durch die göttliche Freiheit. Man kann niemanden zu seinem Heil zwingen, und man kann auch für niemanden die Gnade herbeizwingen. Und doch schafft das Zusammenwirken von Gnade und Freiheit so eigentümliche Verhältnisse, daß man versucht ist, von einer absoluten Macht des Mittlers zu sprechen.

Wir betrachten zunächst das mögliche freie Verhalten des Mittlers

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/160&oldid=- (Version vom 31.7.2018)