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Die ontische Struktur der Person...

Individualität sagen, daß sie das Zentrum einer eigenen geistigen Sphäre sei und daß diese Sphäre ihre eigene Vernunft habe. Ob es möglich ist, sich ganz auf diese Sphäre zurückzuziehen, und – wenn es möglich ist – was damit erreicht werden kann, das sind neue Fragen.

Zunächst ist es schon sehr schwierig zu unterscheiden, was wirklich Reaktion aus der Individualität heraus ist und was nur gewohnheitsmäßiges Reagieren, das zumeist bestimmt ist durch den Geist der Umgebung, in die hinein und aus der heraus der Mensch geboren wird. Häufig genug ist er gerade da, wo er ganz frei und ganz aus sich selbst zu sein meint, durchaus abhängig und durchaus nach andern und von außen gebildet. Aber nehmen wir an, daß diese Täuschung vermieden wird, daß echte Reaktion aus der Individualität heraus vorliegt. Die Reaktion als solche kann, wie wir sehen, nicht schlechthin individuelles Leben sein. Man kann sich der vernunftgemäß geforderten Reaktion entziehen und damit einem speziellen Vernunftgesetz, aber man kann doch immer nur eine mögliche Reaktion wählen, d.h. eine in das Reich der Vernunft gehörige und ihren Gesetzen unterstehende, und nicht aus der Individualität heraus eine nur ihr eigene Reaktion erzeugen. Es bleibt die Gebundenheit an den Eindruck, wie immer man auf ihn reagieren mag. Es bleibt die Richtung nach außen. Das Ergebnis ist, daß die Seele sich in Reaktionen verzehrt, die wohl das Gepräge ihrer Individualität tragen, aber nicht in ihrer Individualität ruhen.

Es bleibt noch ein dritter Weg: daß der Mensch die Gnade zu gewinnen sucht, um im Reich der Gnade sich selbst zu finden. Es gehört zu dieser Situation, daß er noch nicht innerlich von der (vorbereitenden) Gnade berührt ist, sondern nur weiß, daß hier und nur hier Ruhe und Geborgenheit zu finden ist. Es besteht nun das eigentümliche Gesetz, daß der Blick auf die eigene Seele den Weg zur Gnade und damit zu sich selbst versperrt. Nur wer rückhaltlos der Gnade zugekehrt ist, kann ihrer teilhaftig werden. Das erscheint sehr merkwürdig, weil es doch die Sorge um ihr Heil zu sein pflegt, die die Seele nach der Gnade trachten läßt. Wie kann sie zugleich um sich Sorge tragen und sich von sich abkehren? Freilich ist das nicht möglich, solange die Sorge wirklich Sorge ist. Aber es liegt in dem Worte manches verborgen. Die Sorge um setzt die Beschäftigung mit dem Gegenstande voraus, um den man sich sorgt. Diese Sorge

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/154&oldid=- (Version vom 31.7.2018)