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Die ontische Struktur der Person...

Eingang finden zu können. Dann ist es also keine fremde Macht, die von ihr Besitz ergreift, wie es uns früher schien? Die Versuchung tritt ihr nicht von außen entgegen, sondern sie findet sie in ihrem Innern vor, nur noch der Legitimation durch einen freien Akt bedürftig. An Christus tritt der Versucher von außen heran. Aber er findet bei ihm kein Eingangstor. Christus gerät nicht in Versuchung und braucht sich ihrer nicht zu erwehren. Er faßt sie nur auf und gibt die gebührende Antwort. Damit macht er die Versuchung als solche kenntlich und zeigt, wie man sich dagegen verhalten soll“[1]. Der Mensch aus sich heraus vermag weder die Versuchung, die in ihm wirksam ist, zu durchschauen noch ihr zu widerstehen. Bei dem, der nicht durch den Glauben gerecht ist, ist es so zu sagen ein Zufall, wenn er nicht sündigt, sondern die Versuchung ablehnt. Es ist dann nicht das Sündenquales, was er ablehnt, sondern – wofern es sich überhaupt um eine begründete Ablehnung, eine vernünftig motivierte handelt – das, was sündig ist, den Träger dieser Qualität, um eines ihm von anderswoher wirklich oder vermeintlich anhaftenden Unwerts willen. Der Tatbestand der Versuchung ist offenbar nur in einer Seele zu realisieren, in der Gutes und Böses zuhause sind. Wer ganz von Gott erfüllt ist, an den kann die Versuchung nicht heran. Wer ganz vom Bösen erfüllt ist, bei dem gibt es keine Basis für eine Entscheidung dagegen. Die freie Ablehnung des einen bedarf immer des andern, um sich darauf zu stützen.

Wenn also das Böse in der Seele zuhause sein muß, damit sie zum Bösen versucht werden könne – wie ist es möglich, daß sie nicht auch in ihm zuhause ist? Zunächst, es ist ein anderes: der Versuchung


  1. Die Textstelle: „An Christus tritt der Versucher ... wie man sich dagegen verhalten soll“ ist von der Autorin mit Bleistift durchkreuzt. Ein eingefügtes Blatt, ohne Seitenzahl, in Bleistift geschrieben, enthält die folgende Abänderung der Textstelle: (Anm. d. Herausgeber)
    „Nur eine Versuchung gibt es, der das freie Subjekt rein als solches und unabhängig davon, was seine Seele erfüllt, ausgesetzt ist: die einzige, der die Engel und der integre Mensch verfallen konnten, und mit der der Versucher auch an Christus herantreten konnte, – die Versuchung, sich auf sich selbst zu stellen, sich selbst zum Herrn zu machen. Zugleich die einzige, die ihrer Natur nach Auflehnung gegen Gott und nichts weiter ist und aus der das Böse selbst entspringen muß, während jede andere die Konstitution des Bösen schon voraussetzt und nur – implicite oder explicite– auch gegen Gott gerichtet ist. Begegnet werden kann einer Versuchung, und zwar gleichgültig welcher Art, nur aus dem Geist der Höhe heraus“.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/150&oldid=- (Version vom 31.7.2018)