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Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie

Forschungsarbeit wohl noch niemand vor ihm erkannt, geschweige denn herausgearbeitet hat.

Als Schelers Verdienst wird wohl dauernd der Hinweis auf die Welt der materialen Werte (des sinnlich Angenehmen, des Nützlichen, des Schönen, des Wahren, des sittlich Guten, des Heiligen) und ihre Bedeutung für den Aufbau der Persönlichkeit gelten. Insbesondere für die Werte der religiösen Sphäre und zwar in spezifisch katholischer Auffassung hat er vielen die Augen geöffnet. Ideen wie Tugend, Reue, Demut, für die in den Kreisen modernen Unglaubens jedes Verständnis entschwunden war, hat er für die Gebildeten unter ihren Verächtern wieder in ihrem ursprünglichen Sinn erschlossen. Es ist eine Dankespflicht gegenüber dem Toten, hervorzuheben, wie vielen er den Weg zu echtem katholischen Glauben geöffnet hat.

Das, wofür Heidegger den Blick geöffnet hat, ist das, was er In-der-Welt-sein des Ich nennt. Es klingt wie eine ganz banale Tatsache, aber welche zentrale Bedeutung dieser Tatsache zukommt, das ist wohl kaum je früher in dieser Schärfe herausgearbeitet worden. Der naive Realismus nimmt die Dinge so, wie sie dem Menschen vor Augen treten und setzt sie so absolut, ohne zu ahnen, wieviel von dem, was ihm vor Augen steht, durch die Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und seiner Welt bedingt ist: er vergißt sich selbst als Faktor im Aufbau seiner Welt. Der Idealist wird von der Entdeckung des Anteils, den das Subjekt im Aufbau der Welt hat, so gefesselt, daß er es absolut setzt und den Blick für die Abhängigkeiten, in denen es selbst steht, verliert. Es war eine eigene Aufgabe, auf das Dasein als In-der-Welt-sein, in dem wir uns vorfinden, hinzuweisen und es zum Gegenstand der Forschung zu machen.

So hat jeder der drei Forscher zu dem Weltbild unserer Zeit in entscheidender Weise beigetragen.


2. FORMALE BEDEUTUNG

Es gilt nun noch zu zeigen, ob und wie sie auf die Weltanschauung im formalen Sinn, d.h. auf die Art, in die Welt hineinzuschauen, gewirkt haben. Von Husserl muß man sagen, daß die Art, wie er auf

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Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/15&oldid=- (Version vom 31.7.2018)