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Die ontische Struktur der Person...

internen Wesen nach bezeichnet, so müssen wir sagen: das Reich des Lichts. Wenn die Gnade in die Seele einströmt, dann wird sie von dem erfüllt, was ihr selbst ganz angemessen und allein angemessen ist. Diese Fülle stellt sie still. Was fortan von außen heranstürmt, kann nicht – wie im Naturzustande – hemmungslos in sie einströmen. Es wird wohl aufgenommen, aber ihm wird geantwortet aus der Fülle der Seele heraus.

Ist es möglich, in dieses Geheimnis noch weiter einzudringen? Wir versuchen es, indem wir fragen, wie es überhaupt zu verstehen ist, daß eine Person, die dem Reich der Natur angehört, mit einem andern Reich – und speziell mit dem der Gnade – in Verbindung treten kann.

Innerhalb der Natur steht alles, was eine Seele hat, miteinander, und in entsprechend modifizierter Weise auch mit allem Unbeseelten, in einer ursprünglichen Verbindung. Jedes seelische Wesen ist als solches allem, was in der Einheit der Natur mit ihm verbunden ist, preisgegeben in der Art, daß es von ihm Eindrücke empfängt und auf die Eindrücke reagiert nach Gesetzen, die wir als im Dunkeln waltende Vernunftgesetze charakterisierten. Handelt es sich um ein Wesen ohne personale Freiheit, dann ist es den Eindrücken und dem Reagieren wehrlos preisgegeben und in den Zusammenhang der Natur völlig hineingebannt ohne Möglichkeit, sich daraus zu lösen und darüber hinauszugehen. Handelt es sich um eine Person, die nicht nur Seele, sondern freie Geistigkeit besitzt wie im Reiche der Natur der Mensch, so hat sie die Möglichkeit, sich Eindrücken zu entziehen und Reaktionen zu unterbinden. Dem entspricht als positive Leistung, daß der Geist nicht stumpf betroffen wird von Eindrücken, sondern – in seiner ursprünglichen Haltung – offensteht für eine Welt, die sich ihm sichtbar darbietet. Der Geist steht als solcher im Licht.

Kein freies und geistiges Wesen aber ist im Reiche der Natur völlig beschlossen. Die Freiheit, sich dem natürlichen Spiel der Reaktionen zu entziehen, gibt ihm einen Standort außerhalb der Natur oder richtiger: legt davon Zeugnis ab. Und die Offenheit des Geistes ist prinzipiell eine universale. Alles, was sichtbar ist, kann von ihm gesehen werden. Alles, was Gegenstand ist, kann vor ihm stehen. Faktisch freilich hat nicht jeder individuelle Geist ein unbeschränktes Blickfeld. Die Gebundenheit an eine Naturgrundlage, auf der

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/146&oldid=- (Version vom 31.7.2018)