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Abschnitt I

kann ihm im Einzelfalle zu Willen sein – etwa indem er für ihn den Kräften der Natur gebietet – und dabei unversehens ihn mit seinem Geist erfüllen. Oder er kann selbst im Verborgenen bleiben und dienstbare Geister seines Reiches verschicken, die er beauftragt, dem Menschen zu dienen. Der Mensch wähnt dann, daß sie ihm unterworfen sind, während sie in Wahrheit ihrem Herrn gehorchen und damit zugleich ihn diesem Herrn dienstbar machen.

Wenn der Mensch in dieser Weise in einem Reich außerhalb der Natur Fuß faßt, dann gewinnt er nicht seine Seele und kommt nicht zu sich selbst. Dem Geist, der ihn so in sein Reich zieht, kommt es gerade darauf an, sich seiner Seele zu bemächtigen und sie mit seinem Geiste zu erfüllen. Er läßt ihr für ihr eigenes Leben keinen Raum. Sie ist jetzt noch weit mehr in Knechtschaft als im Naturstadium. Der naive Mensch ist nur insofern unfrei, als er ständig äußeren Eindrücken ausgeliefert ist und sein Leben sich in Reaktionen verzehrt. Aber es sind doch seine Reaktionen. Der von einem bösen Geist Besessene dagegen reagiert nicht mehr in seiner Weise, er ist sich selbst entfremdet; in seiner Seele herrscht jener Geist und wirkt aus ihr heraus. In ein Reich kommen, dessen Herr die Seelen begehrt, um sie zu beherrschen, heißt darum auch nicht zur Ruhe kommen. Die Seele wird ja hier ständig aus sich herausgetrieben, es wird ihr keine Stätte gegönnt.

Wie es möglich ist, daß man einem solchen Reiche verfällt, dafür war unser Beispiel charakteristisch gewählt. Wer außerhalb der Natur einen Standort sucht, um sie beherrschen zu können, der bleibt ihr immer noch zugewendet. Er sucht sich selbst, aber nur in dem Sinne des freien Selbst. Er will einen Stützpunkt für seine Aktivität. Seine Seele zu umfrieden und sich in ihr zu bergen, daran ist ihm nichts gelegen. Darum kann er für sie keine Stätte finden. Weil er Herrschaft sucht, muß er tiefer in Knechtschaft geraten.

Sich selbst und ihren Frieden kann die Seele nur in einem Reiche finden, dessen Herr sie nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen sucht. Wir nennen es um eben dieser nichts begehrenden, sondern sich überströmenden und verschenkenden Fülle willen das Reich der Gnade. Und weil darin aufgenommen erhoben werden heißt, das Reich der Höhe. Beides ist mit den Augen dessen gesehen, der es von unten her und in der Beziehung zu sich betrachtet. Wollen wir ihm einen Namen geben, der es rein in sich, seinem

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/145&oldid=- (Version vom 31.7.2018)