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Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie

ein Stufenbau von Seinsregionen und ein Stufenbau von Werten, die zum höchsten Sein und zum höchsten Gut, zu Gott, emporführen. Unter den irdischen Werten kommt das höchste Sein und der höchste Wert der Person zu, und das Sein der Person vollendet sich in ihrem Verhältnis zu Gott. Darum steht unter den möglichen Typen endlicher Personen der am höchsten, der an der spezifisch göttlichen Wertqualität Anteil gewonnen hat: der Heilige. Es war die Tragik in Schelers Leben, daß ihm der Sinn für wissenschaftliche Strenge und Exaktheit abging. Alle seine Werke weisen Lücken, Unklarheiten, Widersprüche auf, die eine feste Begründung des Baus unmöglich machten, das Wertvolle daran für viele, mit denen er hätte zusammenarbeiten können, verdeckten und schließlich dahin führten, daß er selbst das Wesentlichste wieder preisgab.

Bei Heidegger erscheint es mir heute verfrüht, sein Weltbild zeichnen zu wollen. Die Zentralstellung des Daseins, die Betonung der Sorge als zu ihm wesenhaft gehörig, des Todes und des Nichts, sowie manche extreme Formulierungen weisen auf ein gott-loses, ja geradezu nihilistisches Weltbild hin. Aber es gibt auch Äußerungen, die es als möglich erscheinen lassen, daß einmal der Umschlag ins Gegenteil erfolgt und das in sich nichtige Dasein seinen Halt in einem absoluten Seinsgrund findet.


b) Einfluß auf das Weltbild der Zeit

Von dem Weltbild der Philosophen selbst ist zu unterscheiden, was andere durch ihren Einfluß für ihr Weltbild gewonnen haben. Und es läßt sich nicht leugnen, daß jeder von ihnen den Blick auf unbekannte oder unbeachtete Gebiete gelenkt hat. Bei Husserl ist es einmal das Gebiet des Wesentlichen und Notwendigen, das er neu erschlossen hat im Gegensatz zu dem Einmaligen und Zufälligen, an dem die gewöhnliche Erfahrung und Erfahrungswissenschaft hängen bleibt. Es ist nicht etwas absolut Neues, wenn wir an die großen Traditionen der antiken und mittelalterlichen Philosophie denken, aber etwas Neues gegenüber der modernen Weltanschauung, speziell dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden materialistischen und empiristischen Weltbild. Dazu kommt die Domäne des reinen Bewußtseins, die als ein Gebiet unendlicher, streng methodischer und fruchtbarer

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Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/14&oldid=- (Version vom 31.7.2018)