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Was ist Metaphysik?

gesprochen wie von einer Person, der einmal zu ihrem immer unterdrückten Recht verholfen werden mußte. Man wird erinnert an das „Nichts, das Nichts, das einstmals Alles war“. Aber es wäre wenig fruchtbar, sich gerade an diese dunklen Wendungen zu halten.

Vielleicht kommen wir am ehesten zu einer Klärung, wenn wir an die verschiedenen Deutungen des Satzes ex nihilo nihil fit anknüpfen. Hat die antike Metaphysik wirklich unter dem Nichts, aus dem nichts wird, den ungestalteten Stoff verstanden? Dann hätte sie den Satz nicht aufstellen können, denn nach ihrer Auffassung wurde ja alles Gebildete aus dem ungeformten Stoff gebildet. Sie unterscheidet von dem schlechthin Nichtseienden (ούκ όύ) das Nichtseiende, das doch in gewisser Weise – nämlich der Möglichkeit nach – ist (ῃή όύ)[1]. Und dieses ist der Stoff, aus dem alles im eigentlichen Sinn Seiende geformt wird. Das, woraus nichts werden kann, hat auch kein mögliches Sein, es ist das absolute Nichts.

In welchem Sinn ist nun der Satz zu verstehen: ex nihilo fit – ens creatum? Auch hier ist unter nihil nicht der formbare Stoff verstanden. Die Schöpfungslehre leugnet ja das Vorhandensein eines Stoffes vor der Schöpfung. Nach Heidegger meint die Dogmatik mit dem Nichts die Abwesenheit alles außergöttlichen Seienden. Wir wollen dahingestellt sein lassen, ob damit der Sinn des Nichts erschöpft ist. Jedenfalls kann aus einem so verstandenen Nichts nicht im selben Sinn etwas werden wie aus einem vorhandenen Stoff. Es wird ihm nichts entnommen. Schöpfung besagt vielmehr, daß alles, was das Geschöpf ist, und auch sein Sein dem Schöpfer entstammt. Der Satz kann also nur so verstanden werden, daß der Schöpfer im Erschaffen durch kein anderes Seiendes bedingt ist, daß es überhaupt nichts Seiendes gibt als den Schöpfer und die Schöpfung. Wie steht es nun mit der Schwierigkeit, daß Gott sich zum Nichts verhalten müsse, um aus dem Nichts zu schaffen? Es darf zugestanden werden, daß Gott das Nichts kennen müsse, um etwas zu schaffen. Aber dieses Kennen bedeutet keine Nichtigkeit im absoluten Sinn, weil alles Kennen als solches, auch das des Nichts, etwas Positives ist. Gott kennt das Nichts als den Gegensatz seiner selbst, d.h. als den Gegensatz des Seins selbst. Und diese Idee des Nichts


  1. Vgl. Aristoteles, Metaphysik, – 1003 b und N 1089 a-b.
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/133&oldid=- (Version vom 31.7.2018)